Mit leeren Taschen, aber einer tollen Idee von Kinderhotels mit Ziegenhof und Ponyreitunterricht rissen sich der niedersächsische Kaufmann Stephan Egbert Holtorf (50) aus Gödenstorf und der angehende Lehrer (abgebrochenes Studium Philosophie und Sport auf Lehramt), umgesattelte Reiseveranstalter und Hotel-Animateur-Agent und Vater einer reitbegeisterten Tochter Oliver Erbacher (56) aus Berlin Köpenick in den 1990er Jahren fünf leerstehende feudale ostdeutsche Schlösser unter den Nagel:
Schloß Badow bei Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern, Schloß Altenhausen in der Magdeburger Börde, das Wasserschloß Flechtingen ebenfalls in Sachsen-Anhalt, das Schloß Gadow in der brandenburgischen Prignitz und Schloß Boitzenburg in der brandenburgischen Uckermark.
Aus dem weißen Märchenschloß Boitzenburg im Neo-Renaissance-Stil, 80 Kilometer nördlich von Berlin, beispielsweise, das die Schloßinvestoren 1998 für einen symbolischen Preis von umgerechnet 50 Cent kauften, versprach Oliver Erbacher als persönlich haftender Gesellschafter (Komplementär) der im Juli 1999 gegründeten Objektgesellschaft Schloß Boitzenburg KG:
Ich baue hier das Neuschwanstein des Ostens.
417 Jahre lang hatte darin bis Ende des II. Weltkrieges 1945 die Grafenfamilie von Arnim gelebt. Nach 1945 diente das Schloß als Genesungsheim für Typhus-Kranke – ein vielleicht makabrer Schutz vor Plünderungen des wertvollen Inventars.
Es wurde Lazarett der Roten Armee der Sowjetunion und auch erste Wohnstätte für Umsiedler.
Ab 1949 nutzte die Kasernierte Volkspolizei das Gebäude. Von 1956 bis zur Deutschen Wiedervereinigung 1990 war es Erholungsheim für Offiziersfamilien der Nationalen Volksarmee der DDR. Dann stand es leer.
Für die jeweiligen Schloß Objektgesellschaften hatte der Unternehmer Stephan Holtorf im März 1995 als Muttergesellschaft die BaVer Hotel- und Sport Beteiligungsgesellschaft mbH mit Sitz auf Schloß Badow in Mecklenburg-Vorpommern gegründet. Über diese ihm allein gehörende Muttergesellschaft wurde Holtorf praktisch Alleinbesitzer der fünf Feudalschlösser.
Die mutmasslichen Fördermittelerschleicher hatten leichtes Spiel.
Da sich die Behörden untereinander nicht austauschten, hatten die eigentlich mittellosen Schloßinvestoren leichtes Spiel, Millionen an Krediten und Fördermitteln zu ergattern. Beim ersten Schloß Badow waren es noch umgerechnet 3 Millionen Euro Bankkredite. Für das fünfte Schloß Boitzenburg waren es gleich mal zusammen umgerechnet rund 45 Millionen Euro Fördermittel. Zur Erinnerung: Eingsetzt hatten sie für Boitzenburg, das zweitgrößte Schloß nach Sanssouci in Brandenburg, lediglich 50 Cent.
Wenn die Schloßinvestoren an einer Förder-Stelle nach dem notwendigem Eigenkapital gefragt wurden (vorgeschrieben waren 51 Prozent der Kauf- und Revonivierungskosten) konnten sie ungeniert die Fördermittelsummen als Eigenpapital angeben, die sie bereits an anderer Stelle beantragt hatten. Und keiner hat’s gemerkt.
Möglicherweise wäre dieser mutmassliche Sanierungsbetrug durch Stephan Egbert Holtorf nie aufgeflogen.
Und den neuen Schloßherren würde noch heute huldvoll der Hof gemacht werden, wie etwa von dem damaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (64, parteilos, Ministerpräsident von 2002 bis zum Schlaganfall 2013), der beim Besuch des Kinder- und Familienhotels Schloss Boitzenburg im April 2004 zwei Jahre nach dessen Eröffnung ins Schwärmen geriet:
Endlich eine Erfolgsstory im von Förderskandalen geplagten Brandenburg.
Ins Gästebuch schrieb er:
Gratulation, wenige haben daran geglaubt, Sie haben es dennoch geschafft.
Doch die schnellen Millionen haben den neuen Schloßherren anscheinend den Kopf verdreht. Etliche Millionen (im Fall Boitzenburg spricht man von 16 bis 18 Millionen Euro) sollen ganz zweckentfremdet in die privaten Taschen gewandert sein, wie die Staatsanwaltschaft Potsdam bei der Auswertung von Unterlagen herausfand, die bei einer bundesweiten Razzia im Jahr 2005 wegen des Verdachts auf Subventionsbetrug im Fall Schloß Boitzenburg beschlagnahmt wurden. Aktenzeichen: 23 KLs 1/16 430 Js 23975/05 Wi.
Im September 2004 beantragte Erbacher als Geschäftsführender Gesellschafter der Schloß Boitzenburg KG das Insolvenzverfahren. Hintergrund dafür soll gewesen sein, daß sein Unternehmen eine Bauabzugssteuer in Höhe von 1,8 Millionen Euro nicht an das Finanzamt, sondern an die Magdeburger Baufirma überwiesen hatte, die das Schloß in den vergangenen Jahren saniert hatte. Da die Baufirma jedoch pleite war, wurden deren Konten gesperrt.
Das Geld sei deshalb nicht mehr verfügbar gewesen, das Finanzamt verlangte aber die Steuer.
Um die Arbeitsplätze zu sichern, habe das Insolvenzverfahren beantragt werden müssen, sagte Erbacher damals der WELT.
Noch während das Verfahren lief, verkaufte Oliver Erbacher das 13.900 Hektar große Anwesen, das auf einer Halbinsel liegt und 1840 von Peter Joseph Lenne als prachtvoller Landschaftspark im englischen Stil ausgestaltet wurde, im Oktober 2004 an den heutigen Besitzer weiter, die Drachenfels 30. VV AG mit Sitz im Kätnerweg 13d in Hamburg. Die Drachenfels 30. VV AG wurde am 21. Juli 2004 gegründet und bis zum 14. Juli 2007 von Vorstand Holtorf geleitet. Sein Nachfolger wurde Oliver Erbacher. Im Mai 2015 trat er als Vorstand zurück. Bis heute leitet die Drachenfels 30. VV AG nun Kauffrau Monika Elvira Talke (67) aus Milmersdorf im Landkreis Uckermark in Brandenburg.
Trotz eines Sachanlage-Kapitals von rund 3,5 Millionen Euro im Jahr 2016 (im Jahr davor rund 3,6 Millionen Euro) ist die Drachenfels 30. VV AG seit Jahren bilanziell überschuldet. Der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag belief sich im Jahr 2016 auf rund minus 2,32 Millionen Euro, im Jahr 2015 auf rund minus 2,5 Millionen Euro und im Jahr 2014 auf rund minus 2,4 Millionen Euro.
Der Insolvenzverwalter der Schloß Boitzenburg KG Wolfgang Schröder, eingesetzt vom Amtsgericht in Neuruppin, beauftragte einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer.
Es handelt sich um Hans-Joachim K., heute 72 Jahre alt. Er war bis zu seiner Rente 20 Jahre für Insolvenzverwalter tätig. Der Finanzexperte schaute sich Bücher, Konten und Schloss an.
Fazit nach einer langen Recherche:
Es sind 58 Millionen DM (rund 29 Millionen Euro – Anmerkung der Redaktion) in das Projekt geflossen.
Die übrigen Fördergelder in Höhe von 32 Millionen DM (rund 16 Millionen Euro) müssen also anderweitig ausgegeben worden sein.
Der Wirtschaftsprüfer fand heraus, dass der Hauptangeklagte Oliver Erbacher ein Hotel in Marbella in Spanien betrieb:
Sehr viele Zahlungsströme liefen bei der Hotel Marbella KG auf.
Subventionsbetrugsprozess vor dem Landgericht Potsdam
Am 12. September 2018 begann zum Fall Boitzenburger Schloß vor dem Landgericht Potsdam ein Subventions-Betrugsprozess gegen Holtorf, Erbacher und den 52jährigen mehrfachen Geschäftsführer Philipp Bussmann (52, heute unter anderem Vorstands-Nachfolger von Holtmann bei der amp Golf AG in der Sierichstraße 45 in Hamburg).
Die Verteidigerin von Bussmann, Heide Sandkuhl, beantragte, das Verfahren gegen ihren Mandanten wegen der langen Verfahrensdauer einzustellen – das Gericht lehnte den Antrag ab.
Die lange Verfahrensdauer sei rechtsstaatswidrig und verstoße gegen die europäische Menschenrechtskonvention, sagte sie und listete eine Reihe von Daten auf.
Von Mai 2005 bis Juni 2010 ermittelte die Staatsanwaltschaft Potsdam. Im Juli 2010 ging die Anklage beim Landgericht Potsdam ein. Im August 2011 eröffnete das Landgericht das Verfahren – beschloss also, einen Prozess zu führen. Doch die zuständige Strafkammer teilte danach immer wieder mit, dass man wegen Überlastung nicht dazu in der Lage sei. Im Juli 2017 meldete sich die Staatsanwaltschaft erneut bei der Strafkammer: Verjährung drohe!
Doch erst im Februar 2018 – sieben Monate später also – teilten die Richter mit, dass der Prozess im September dieses Jahres beginnen werde. Zum Prozessauftakt schließlich folgten die Vorwürfe und der Antrag Sandkuhls: Doch die Kammer wies den Antrag ab. Sie will den Prozess gegen die verbliebenen drei Angeklagten führen.
Zwar sehe man die überlange Verfahrensdauer als gegeben an, so das Gericht beim Prozessauftakt. Wegen der Komplexität des Falles, der Schwere der Taten und des langen Tatzeitraumes von rund sieben Jahren zwischen Mai 1997 und Oktober 2004 sei dies aber kein Verfahrenshindernis.
Gegen den vierten Angeklagten, den 74jährigen Winfried Gerd W., ist das Verfahren eingestellt worden. Der Mann habe gesundheitliche Probleme, teilte das Landgericht Potsdam vor Prozessbeginn mit. Das Verfahren sei “gegen Zahlung einer Geldsumme eingestellt” worden, sagte Gerichtssprecher Sascha Beck. Die Summe sei auch bereits gezahlt worden. Zur Höhe wurden keine Angaben gemacht werden.
Für die Beweisaufnahme sind bis zum 5. April 2018 26 Sitzungen vorgesehen.
Ein Gerichtssprecher fasste den Anklagevorwurf wie folgt zusammen: