In der britischen Zeitung waren über Wochen hinweg Berichte erschienen, in denen einem Wirecard AG-Mitarbeiter Kontomanipulationen und Dokumentfälschungen vorgeworfen wurden. Dabei ging es um angebliche Scheinumsätze mit verschobenen Geldern – das sogenannte Round-Tripping.
Ende März 2019 legte Rajah & Tann LL.P. ihren Abschlussbericht vor. Demnach war zwar im Geschäftsjahr 2017 ein Umsatz von 2,5 Millionen Euro fälschlicherweise verbucht worden. Dies sei jedoch rückwirkend für 2017 korrigiert und durch andere positive Korrekturen ausgeglichen worden.
Für eine strafrechtliche Verantwortung in der deutschen Konzernzentrale gebe es keine Hinweise, hieß es weiter. Allerdings könnten sich Angestellte in Singapur möglicherweise strafbar gemacht haben.
Wirecard AG-CEO und 7prozentiger Großaktionär Dr. Markus Braun erklärte, Opfer von Kursmanipulation zu sein.
Die deutsche Finanzaufsicht BaFin teilt diesen Verdacht. Die BaFin sprach nicht nur im Fall ein kurzzeitigs Leerverkaufsverbot (anfang Februar bis mitte April 2018) aus. Nach Vorlage des Endberichts der Singapurer Kanzlei erstattete auch die BaFin bei der Staatsanwaltschaft München I Strafanzeige gegen den Financial Times-Journalisten und sechs Shortseller wegen mutmasslicher Marktmanipulation.
Die Finanzaufsicht leitet den Verdacht der Manipulation aus dem Zusammenwirken der Financial Times-Artikel und Handelsaktivitäten an der Börse ab.
So sollen Spekulanten jeweils bereits vor dem Erscheinen von Financial Times-Artikeln sogenannte Leerverkaufspositionen aufgebaut haben.
Bei einem Leerverkauf leihen sich Anleger Aktien eines Unternehmens, etwa von einem Fonds oder einer Bank. Sie verkaufen die geliehenen Aktien, um sie später billiger zurückzukaufen und an den Verleiher zurückzugeben. Geht die Wette auf fallende Kurse auf, können sie die Differenz als Gewinn einstreichen.
Für den Vorwurf der Marktmanipulation kommt es nicht darauf an, ob die Vorwürfe der “Financial Times” sich als wahr herausgestellt haben oder nicht. Vielmehr geht es um die Frage, ob die Autoren der Wirecard-Artikel wussten, dass bestimmte Akteure zuvor Aktien leer verkauft hatten, um von der Wirkung der Artikel finanziell zu profitieren, und ob die Autoren diesen Interessenkonflikt unterschlagen haben.
Die “Financial Times” weist diese Vorwürfe zurück.
Ob es zu einer Anklage kommt, ist offen. Die Ermittler müssten nachweisen, dass es tatsächlich zu einer Art Absprache zwischen den Autoren der Artikel und Akteuren an den Finanzmärkten gekommen ist.
Ein prominenter Shortseller ist aus dem Schneider
Das Strafverfahren gegen Fraser Perring (britischer Leerverkäufer und Herausgeber des Börsenbriefs Zatarra Research) wegen Vorwurfs der Marktmanipulation wurde vom Amtsgericht München mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft München I und der Verteidigung nach § 153a Abs. 2 der Strafprozessordnung vor kurzem eingestellt.
Voraussetzung sei laut REUTERS gewesen, dass Perring einen niedrigen fünfstelligen Euro-Betrag an gemeinnützige Einrichtungen zahle.
Perring und andere Börsianer gerieten ins Visier der Finanzaufsicht BaFin und der Staatsanwaltschaft, nachdem die Wirecard-Aktie am 24. Februar 2016 um ein Viertel eingebrochen war. Denn unmittelbar zuvor hatte die von Perring betriebene Firma Zatarra Research dem Unternehmen in einer im Internet verbreiteten Analyse betrügerische Machenschaften vorgeworfen. Wirecard wies die Vorwürfe zurück.
Dennoch vernichtete der Kurssturz binnen Minuten einen Börsenwert von 1,3 Milliarden Euro. Davon profitierten Investoren, die mit Leerverkäufen auf einen fallenden Aktienkurs gewettet hatten. Im Fall Zatarra fiel es den Ermittlern jedoch schwer, den Tatverdächtigten kriminelle Machenschaften nachzuweisen.
Leerverkäufe sind legal, lediglich Marktmanipulation ist strafbar. Perring hatte die Vorwürfe gegen ihn zurückgewiesen. Das Verfahren gegen einen Mitverantwortlichen wurde bereits vor zwei Jahren gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt.
Der britische Journalist Dan McCrum hatte als Kopf des Financial Times-Blogs Alphaville bereits damals kritisch über Wirecard AG berichtet. Unter der Überschrift “The House of Wirecard” erschienen insgesamt acht Artikel.
Ein weiterer Bericht unter Verweis auf eine Studie von “Zatarra Research” ließ die Wirecard-Aktie 2016 abstürzen.
Die darin erhobenen Vorwürfe wurden nie bestätigt.
Spielt das in dem laufenden Verfahren gegen Dan McCrum und sechs Shortseller eine Rolle?
Aktionärs-Anwalt Khazaeli:
Nein. Es zeigt aber, dass McCrum sich schon mal hat missbrauchen lassen.
Die Vorwürfe von “Zatarra Research” und dessen Herausgeber Fraser Perring haben sich seinerzeit als falsch erwiesen. Die Staatsanwaltschaft München I hat deswegen beim Amtsgericht München den Erlass eines Strafbefehls gegen Perring beantragt, der auch antragsgemäß erlassen wurde.
Gegen diesen hatte Perring Einspruch eingelegt.
Anwalt Khazaeli erklärt gegenüber DER AKTIONÄR:
Wird dem Angeklagten lediglich ein Vergehen zur Last gelegt und wiegt seine persönliche Schuld gering, kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten das Verfahren unter Auferlegung von Auflagen und Weisungen vorläufig einstellen.
Wirecard steht allerdings nun selbst im Visier der BaFin:
Nachdem sich die Ermittlungen im Fall Wirecard lange auf verdächtige Investoren und Journalisten beschränkt hatten, geriet auch das Unternehmen selbst ins Visier der Behörden. Die BaFin prüft, ob Wirecard die Kapitalmärkte ausreichend über die Untersuchung interner Ungereimtheiten informiert hat.
Der Aufsichtsrat von Wirecard wartet die BaFin-Prüfung nicht ab und beschränkte die operative Macht von CEO Dr. Markus Braun.
Der von Investoren zuletzt heftig kritisierte promovierte Wirtschaftsinformatiker CEO Dr. Markus Braun werde künftig seinen Schwerpunkt auf strategische Fragen legen und die Verantwortung für die Kapitalmarktkommunikation an den Finanzchef Alexander von Knoop abgeben, teilte das Unternehmen am 15. Mai 2020 mit.
Dr. Braun:
Ich entschuldige mich bei allen unseren Aktionären, Kunden, Partnern und Mitarbeitern für die Turbulenzen der vergangenen Wochen und Monate.
Doch Wirecard steht wegen der Kursturbulenzen der erste deutsche Rechtsstreit mit Anlegern ins Haus.
Die Berliner Kanzlei TILP reichte die erste deutsche Anlegerklage gegen Wirecard ein.
Und stellte einen Antrag auf Einleitung eines Musterverfahrens, wie die Kanzlei am 13. Mai 2020 mitteilte.
TILP-Anwalt Maximilian Weiss:
Das Maß ist jetzt voll.
Wir haben nunmehr alle rechtlich erforderlichen Fakten beieinander und können diese belegen – daher messen wir der von uns eingereichten Klage hohe Erfolgschancen bei.
Er gehe davon aus, dass institutionelle Anleger wie Fondsgesellschaften zu den Klägern gehören.
Wirecard habe falsche, unterlassene und unvollständige Kapitalmarktinformationen gegenüber den Aktionären gegeben und sich damit schadenersatzpflichtig gemacht, sagte Weiss. Betroffen seien alle Aktienkäufe vom 24. Februar 2016 bis 27. April 2020. Alleine durch die Kommunikation rund um die KPMG-Sonderprüfung sei zeitweise ein Börsenwert von mehr als fünf Milliarden Euro vernichtet worden.
Der Konzern erklärte dazu am am 13. Mai 2020:
Die Wirecard AG weist die von der Klägerkanzlei TILP erhobenen Vorwürfe und die geltend gemachten Schadensersatzansprüche entschieden zurück.
Wirecard hat zu allen Zeiten nach bestem Wissen und Gewissen und entsprechend der gesetzlichen Informationspflichten kommuniziert.
Mit der BaFin kooperiert Wirecard bei der Analyse des Sachverhalts.
Das Unternehmen wird sich gegen die erhobene Klage zur Wehr setzen und sieht dem Ausgang des Verfahrens gelassen entgegen.
Die Wirecard AG hatte bereits angekündigt, künftig verstärkt eigene Lizenzen beantragen zu wollen und das Geschäftsvolumen mit Drittpartnern reduzieren zu wollen.
Dr. Braun verspricht nach dem Führungsumbau:
Wirecard ist und bleibt ein nachhaltig hochprofitables Unternehmen.
Für Markus Braun geht es jetzt um alles. Kein anderer Chef eines Dax-30-Konzerns ist so stark mit seinem Unternehmen verbandelt und steht gleichzeitig so sehr in der Kritik wie der Wirecard-Boss. Der Wiener lenkt den Zahlungsabwickler seit fast zwei Jahrzehnten, er ist der größte Aktionär und hat die einstige Neue-Markt-Bude in die Königsklasse der Frankfurter Börse geführt und dort sogar 2018 die Commerzbank rausgekickt.
Doch die Vorwürfe der Bilanzmanipulation kann der erfolgsverwöhnte Manager nicht abschütteln.
Ingo Speich, Leiter des Bereichs Corporate Governance bei der Sparkassen-Fondsgesellschaft DekaBank – einem der Großinvestoren des Konzerns, findet auch nach der neuen Struktur ungewöhnlich harte Worte in Bezug auf einen Dax-Konzernschef.
Speich sagte der WirtschaftsWoche:
Der Vorstand hat jegliches Vertrauen verspielt.
Wenn weiterhin alle Machtstrukturen auf Braun ausgerichtet sind, ist das aber nicht der Befreiungsschlag für Wirecard.
An seiner Forderung nach einem Rücktritt von Braun, wie GoMoPa berichtete, hält Speich fest. Bis zur Hauptversammlung Anfang Juli 2020 müsse Wirecard für Aufklärung der Bilanzfälschungsvorwürfe sorgen. Nun denn…