Das Hamburger Gruner+Jahr-Magazin BÖRSE ONLINE nennt sich selbst “das unabhängige Anlegermagazin”. Aber so unabhängig waren seine Aktientipps in der Vergangenheit gar nicht, wie das Blatt nun tröpfchenweise zugab.

 

Ihre Geldredakteurin Renate Daum und der Leitende Redakteur Finanzen Christian Kirchner geißelten noch eine Woche nach der deutschlandweiten Aktienmanipulations-Razzia (Wirecard, Nascacell, Thielert, Conergy) die Doppelmoral der dabei ins Hauptvisier geratenen Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. (SdK) aus der feinen Maximilianstraße 8 in München.

Die Exfunktionäre der SdK Tobias Bosler und Markus Straub wurden am 21. September 2010 im Zuge der Hausdurchsuchungen verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, mit gezielten Falschinformationen in der Presse (Wallstreet Online, GoMoPa.net) die Aktie der Wirecard im Frühjahr 2010 schon zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres zum Absturz gebracht zu haben, um sich zu bereichern, in dem sie an der Börse auf fallende Kurse von Wirecard gesetzt hatten. Der mutmaßliche Drahtzieher Bosler soll laut Durchsuchungsbeschluss beim diesjährigen Wirecard-Absturz mindestens 400.000 Euro verdient haben.

Die BÖRSE ONLINE Autoren warfen den Aktionärsschützern “wenig Unrechtsgewußtsein vor” und hielten insbesondere dem einstigen Sprecher der SdK Markus Straub vor, dass dieser vor vier Jahren noch auf den Anlegerschutztagen in Berlin gegen “die Maßlosigkeit der Banken wetterte”. Erbost stellte nun BÖRSE ONLINE am 29. September 2010 die einstigen SdK-Funktionäre an den Pranger: “Über Jahre hat sich eine Clique von Finanzjongleuren mit windigen Geschäften gegenseitig Millionen zugeschachert.”

Was BÖRSE ONLINE allerdings dabei unterschlug, war die Tatsache, dass zu dieser Clique um die SdK auch zwei ehemals langjährige und leitende Finanzredakteure von BÖRSE ONLINE gehören sollen, wie aus dem Durchsuchungsbeschluss des Münchener Amtsrichters Meixners vom 7. Juli 2010 hervorgeht. Als andere Medien diese Information veröffentlichten, sah sich Chefredakteurin Stefanie Burgmaier genötigt, sich mit dem angeprangerten fehlenden Unrechtsbewußtsein nun auch im eigenen Haus auseinanderzusetzen.

In einem Kommentar räumte die Chefredakteurin nur zwei Tage nach der einseitigen reißerischen Berichterstattung gegen die SdK kleinlaut ein:

Leider sind es gerade Finanzjournalisten, die leicht in Versuchung geraten. Sie kommen ständig mit Leuten zusammen, die scheinbar mühelos reich geworden sind. Und einige können nicht widerstehen, diesem Erfolg nachzueifern. So wollen wir nicht verschweigen, dass nach unseren Informationen zwei der Verdächtigen einmal für BÖRSE ONLINE gearbeitet haben. Beide sind seit Jahren nicht mehr für uns tätig. Zudem haben die Fälle, die jetzt untersucht werden, nach ihrer Zeit in unserer Redaktion stattgefunden. Dennoch ist uns ihre mögliche Verstrickung Mahnung, ständig wachsam zu bleiben.

Gemeint sind namentlich der Diplombetriebswirt Georg Breu (41) und der Asset-Manager Günter Pollersbeck (38). Die beiden betreiben Tür an Tür mit der SdK in der Maximilianstraße 8 in München seit Januar 2004 ihre Firma InvestorPress GmbH.

Mit dem einsitzenden Straub arbeiten sie schon seit Jahren zusammen. So übernahmen Breu und Pollersbeck zum Beispiel die Investorenbetreung der im Mai 2008 in Leipzig gegründeten Solarhybrid AG und präsentierten die Firma mit einem Messestand auf der Intersolar 2008 in München. Im Aufsichtsrat dieser Firma, die Sonnenwärme und Sonnenlicht zugleich nutzen will, sitzt Markus Straub.

Stolz verweisen Breu und Pollersbeck noch heute auf ihre Redakteurszeit bei BÖRSE ONLINE. Breu schreibt auf seiner Firmenseite, dass er 7 Jahre bei BÖRSE ONLINE war, “davon 3 Jahre als Ressortleiter Deutsche Aktien”.

Pollersbeck gibt auf der Firmenseite und auch im Sozialnetzwerk XING zum besten, dass er 6 Jahre Redakteur bei BÖRSE ONLINE war, davon in der Zeit von Januar 1999 bis Dezember 2003 sogar “Ressortleiter Internationale Aktien.”

Und in dieser Zeit haben die beiden einen Shootingstar an der Börse, den Akademiker-Finanzdienstleister MLP aus Wiesloch in Baden, so abgeschossen, dass sich die Aktie bis heute nicht wieder davon erholt hat.

Die BÖRSE ONLINE Ressortleiter brachten 2002 die MLP-Aktie zu Fall

 

Die Aktie der MLP erlebte 2001 einen Höhenflug von bis zu 172 Euro, um dann im Jahre 2002 auf 8 Euro abzustürzen. Im Gegensatz zu heute ermittelte die Staatsanwaltschaft damals noch nicht gegen die Journalisten wegen Markmanipulation. Bislang weiß noch kein Außenstehender, was die Clique Bosler, Straub, Breu und Pollersbeck an dem Aktiensturz verdient hat.

Wochenlang hatte BÖRSE ONLINE als einziges Medium berichtet. “Die wahre MLP Story” titelte das Magazin am 15. Mai 2002 und sah am 16. Mai 2002 die “MLP: Vor einem Gewitter”. Börse Online kritisierte undurchsichtige Bilanzen und legte wöchentlich nach: “Nebelkerzen aus Heidelberg” schrieb das Magazin am 26. Mai 2002. Am Ende waren es über zehn Berichte: “Mangelhafte Antworten” am 20. Juni 2002, “Dubiose Verkäufe – es wird enger” am 01. August 2002, “Verwirrung um die Kundenzahlen” am 22. August 2002 oder “Vorstandsmitglied weg – Bilanzrisiken bleiben” am 12. September 2002.

Der Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, wundert sich noch heute darüber. Dem NDR sagte Tichy: “Die massive Berichterstattung an und für sich war noch nicht merkwürdig, da es ja so sein kann, dass Unternehmen von sich aus Daten verschleiern. Die Häufung dieser Berichte und die Zentrierung auf ein einziges Blatt war allerdings seltsam.”

Seltsam vor allem war auch: Alle Berichte wurden von einem unbekannten Journalisten geschrieben, einem geheimnisvollen “Felix S. Lohmann”. Ein Pseudonym, wie BÖRSE ONLINE damals einräumte. Wer allerdings dahinter steckt, das verriet BÖRSE ONLINE damals nicht.

Roland Tichy urteilt: “Es handelt sich hier um sehr hochbrisante Informationen, die müssen zuverlässig sein. Und das größte Maß an Zuverlässigkeit ist immer noch die personale Verantwortung eines einzelnen Redakteurs. Immer, wenn anonyme Autoren da auftauchen, ist der Verdacht nahe, dass da jemand handelt, der in Wirklichkeit im Trüben fischt.”

Damals gab es Gerüchte, dass hinter dem Pseudonym der Aktionärsschützer Markus Straub stecken könnte: “Lohmanns Enthüllungen” titelte die Süddeutsche Zeitung am 07. August 2002 und lenkte den Verdacht auf Straub. Der stritt das ab.

Nun tauchen bei den aktuellen Ermittlungen unter den Verdächtigen des kriminellen Netzwerkes die beiden Namen der damaligen Ressortchefs von BÖRSE ONLINE, Georg Breu und Günter Pollersbeck, auf. Sie waren für die Veröffentlichungen des Lohmann, oder soll man Straub sagen, verantwortlich.

Ihre Nähe zu den verdächtigten Aktionärsschützern ist bis heute auffällig. Nicht nur wegen ihrer Tür an Tür liegenden Geschäftsräume in München. Auf Anfrage des NDR-Magazins Zapp bestätigt die heutige Chefredakteurin von BÖRSE ONLINE, Stefanie Burgmaier, dass sämtliche MLP-kritischen Berichte von den verdächtigten Journalisten verfasst wurden. Die Verdächtigen reagieren auf Medienanfragen nicht, geben keine Stellungnahmen ab.

Die Staatsanwaltschaft München ermittelt in dem Mammutverfahren Manipulationen von 20 Aktiengesellschaften.

Der jetzige BÖRSE ONLINE Ressortleiter Finanzen, Christian Kirchner, hält die Enthüllungen nur für die Spitze des Eisbergs. Kirchner sagte gegenüber Zapp: “Ich glaube unter dem Strich auch, dass auch nur diese 20 Aktien ein Ausschnitt sind, weil das sind wahrscheinlich die, bei denen man das am einfachsten nachweisen kann in Form der Ermittlungen, ich glaube aber schon, dass da noch mehr dahinterstehen.”

Merkwürdige “Hotstocks” von Focus Money

 

Auch gegen einen freien Mitarbeiter von Focus Money, einem Anlegermagazin aus München, wird derzeit ermittelt. Er soll ebenfall Teil des geheimen Netzwerkes sein. Seine Name: Oliver Janich. Er ist Bundesvorsitzender der am 30. Mai 2009 gegründeten Partei der Vernunft für Freiheit und Bürgerrecht mit Sitz in Hilzingen in Baden-Württemberg. Im Parteiprogramm fordert die Partei der Vernunft die Abschaffung der Besteuerung von Dividenden- und Aktienkursgewinnen. Keine Abgeltungssteuer heißt es da. Die Maxime seiner Partei beschreibt Janich so: “Du kannst tun und lassen, was Du willst, solange Du dabei niemandem schadest.”

Focus Money und der Fall Petrohunter Energy

Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Marktmanipulation. 2006 ging ein gänzlich unbekanntes Unternehmen an die Börse. Eine Firma mit dem klangvollen Namen “Petrohunter Energy”.

Christian Kirchner erklärt: “Das ist ein Unternehmen, das früher einmal, vor acht bis zehn Jahren, in der Lieferung von Mineralwasser für amerikanische Büros tätig war, pleite war und dann anschließend, im Jahr 2005 war das, quasi über Nacht zu einem neuen Unternehmen wird, das angeblich auf irgendwelchen Ölreserven in Australien oder Nordamerika sitzt. Und mit dieser Geschichte ausgestattet und umbenannt von Digital Eco Systems, wie das Unternehmen früher hieß, in Petrohunter – klingt natürlich auch toll: Petrohunter, der Öljäger – ist man an die Öffentlichkeit gegangen.”

Ein merkwürdiges Unternehmen. Doch bei Focus Money war die neue Aktie der “Hotstock” der Woche. Dort beschwor der Focus-Money-Mitarbeiter am 8. Februar 2006 das “Neue Gasfieber” mit “Gigantischen Chancen” und empfahl: “Spekulative Anleger sollten einsteigen, bevor Details bekannt werden.” In einem zweiten Artikel errechnete er sogar ein Gewinnpotenzial von “163 Prozent”, ein Journalist im “Gas Rausch”, wie Focus Money am 25. Januar 2006 schrieb. Seine Quellen unbekannt.

Ralf Drescher vom Handelsblatt ist über die Berichte erstaunt: “Es gibt aus öffentlichen Quellen keine Berichte, es gibt kaum Mitteilungen außer ein paar Jubel-ad-hoc-Mitteilungen des Unternehmens selbst. Also, ich weiß nicht, wo diese Recherchen herkommen sollen, und entsprechend glaube ich auch nicht, dass da seriös recherchiert wurde.”

“Es gibt ganz klar geregelte Vorschriften im Wertpapierhandelsgesetz, dass die Finanzanalysen und darunter fallen eben solche Beiträge von Journalisten, die sich mit Aktien befassen, dass solche Finanzanalysen korrekt und sachlich abgefasst werden sollen und keinen irreführenden Eindruck erwecken dürfen”, so Heinfried Hahn, Experte für Kapitalmarktrecht gegenüber dem NDR.

Jubel-Artikel steigerten den eigenen Profit

Das undurchsichtige Unternehmen wurde in Focus Money Artikeln hochgejubelt. Pikant daran: Ein Blick in die Dokumente der amerikanischen Börsenaufsicht SEC verrät, wer sich zuvor mit Aktien eingedeckt hatte. Der ehemalige Aktionärsschützer Tobias Bosler war mit 100.000 Aktien dabei, sein ehemaliger Kollege Markus Straub mit 200.000 Aktien. Und auch andere nun verdächtigte Personen tauchen als Aktionäre auf. Und die Rechnung ging auf. Für Insider, die früh investiert hatten und rechtzeitig wieder ausstiegen, ein Riesengeschäft. Direkt nach dem Börsengang stürzte die Aktie ab, war schließlich nur noch Cent-Beträge wert. Wenige journalistische Artikel mit großer Wirkung.

“Finanzjournalisten haben eines: Sie machen Masse, sie machen Stimmung. Man braucht Leute, die bestimmte Aktien kaufen und dabei nicht merken, dass sie wertloses Zeug von Leuten kaufen, die sich ins Fäustchen lachen”, meint WiWo-Chefredakteur Roland Tichy.

Focus Money und der Fall Nascacell

Die Börse in Frankfurt: Gleiches Jahr, gleiche Clique, gleiches Muster. Diesmal war es ein unbekanntes Biotech-Unternehmen, namens Nascacell, das offenbar in Berichten nach oben geschrieben wurde. Auch hier sollten mutmaßliche Mitglieder des geheimen Netzwerkes beteiligt gewesen sein. Und auch hier wieder Jubelberichte vom gleichen Focus-Money-Mitarbeiter. Trotz fehlender offizieller Informationen war Nascacell der “Hotstock der Woche”, wie in Focus Money am 31. Mai 2006 zu lesen war.

Der Focus-Money-Journalist tönte: Der Börsenneuling “könnte bald für Furore sorgen”. Nascacell sei quasi ein Geheimtipp, und er versprach vollmundig: “Für Anleger ist dies die einmalige Chance, zu Schnäppchenpreise an die Aktie zu kommen.” Viele glaubten den Berichten und bereuten es. Denn der Aktienkurs fiel schon am allerersten Tag von sieben Euro auf 20 Cent. Mittlerweile ist das Unternehmen abgewickelt. Die schriftlichen Fragen von Zapp hat der Focus-Money-Journalist nicht beantwortet. Auch die Focus-Money-Chefredaktion gab Zapp keine schriftlichen Antworten. Nur weitschweifige Ausführungen am Telefon. Die Zusammenarbeit mit dem Journalisten sei ausgesetzt: jetzt.

Zweifel an der Arbeit des Focus-Money-Journalisten gab es schon lange. Ralf Drescher vom Handelsblatt und sein damaliger Kollege Christian Kirchner haben bereits vor zwei Jahren recherchiert. “Wir haben uns die so genannten Hotstocks mal angeschaut, die das Magazin in den Jahren 2006 bis 2008 empfohlen hat. Das waren ungefähr 140 Werte und da sind wir zu dem Schluss gekommen, dass lediglich 18 Werte überhaupt nur eine, meist leicht positive, Rendite erzielt haben, bis zum Zeitpunkt unserer Betrachtungen im Sommer 2008”, so Christian Kirchner.

Der Rest rauschte nach unten ab. Rund ein Drittel der empfohlenen “Hotstocks” erlitten sogar am Ende einen Totalverlust. Und das zu einer Zeit, in der es an der Börse stabil zuging. “Das Ganze ist wirklich himmelschreiend, und jeder Affe mit Dartpfeilen würde deutlich bessere Ergebnisse erzielen, als der Kollege, der die “Hotstocks der Woche” empfohlen hat”, meint Ralf Drescher vom Handelsblatt.

 

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