Wer im Schadensfall bei der falschen Versicherung einen Vertrag unterschrieben hat, dem drohen langwierige bürokratische und juristische Auseinandersetzungen. Von den großen Versicherern glänzt vor allem die HDI Gerling mit einer überdurchschnittlich hohen Anzahl von Kundenbeschwerden.
Mit wochenlangen Bearbeitungszeiten, endlosem Papierkrieg und nur scheinbar unabhängigen Gutachtern wird die Schadensregulierung um Monate hinausgezögert. Im schlimmsten Fall droht Unternehmen und Privatpersonen sogar der persönliche Ruin.
Es war der Albtraum eines jeden Unternehmers auch für die HDI:
Samstag, nachts um drei Uhr am 11. Juli 2015 klingelte das Handy von Mark Vornkahl, Geschäftsführer der Scoredex GmbH. In der Leitung war ein aufgelöster IT-Experte, der durch den stillen Alarm einer Überwachungskamera im Berliner Vertriebsbüro des Schweizer Unternehmens auf einen Einbruch aufmerksam geworden war. Eine halbe Stunde später waren sowohl Angestellte als auch die Polizei vor Ort, allerdings zu spät um die Einbrecher zu stellen.
Die Schäden des Einbruchs waren immens. Auftragsverbrecher hatten die schwere Metalltür des Büros aufgestemmt und die gesamte IT-Infrastruktur des Unternehmens zerstört sowie dutzende Festplatten und mehrere Aktenordner und Kartons auch mit Personal- und Buchhaltungsunterlagen entwendet. Das gesamte Büro war verwüstet. Ein Versicherungsschaden wie aus dem Bilderbuch – sollte man meinen.
Anfangs sah es auch so aus, als habe die HDI Gerling ein hohes Interesse an einer schnellen Schadensregulierung.
Getreu dem HDI-Motto “Ein Schadensfall muss kein Weltuntergang sein”, schickte die Versicherung bereits drei Tage später ihren Regulierungsbeauftragten Andreas Merkin zur Besichtigung und Dokumentation der Schäden. Innerhalb einer Woche hatte die HDI Gerling eine Vorgangsnummer angelegt und Scoredex gebeten, den Schaden zu beziffern.
Am 23. Juli 2015 erhielt die Versicherung die gewünschten Kostenvoranschläge zur Wiederherstellung der IT-Infrastruktur und Datenwiederherstellung übermittelt.
Mit rund 130.000 Euro betrug der bezifferte Schaden einen Bruchteil der maximalen fünf Millionen Euro, die im Versicherungspaket abgesichert waren.
Bei Scoredex war die Hoffnung groß, dass man nach einer zügigen Einigung mit der HDI Gerling weitere Schäden vom Unternehmen abwenden könne.
Doch ein Anruf des Regulierungsbeauftragten Merkin sollte den Scoredex-Chef eines Besseren belehren.
Man wäre bereit sich schnell und flexibel zu einigen, allerdings sei die HDI Gerling nur bereit 10.000 Euro, also weniger als 10 Prozent des tatsächlichen Schadens zu regulieren. Ein Angebot, das Scoredex selbstverständlich ausschlug.
Keine Regulierung, sondern Verdächtigungen
Daraufhin wollte die HDI Gerling von einer schnellen Schadensregulierung erst einmal nichts mehr wissen.
Drei Wochen nach Bezifferung der Schäden kam am 17. August 2015 vom Regulierungsbeauftragten Andreas Merkin die lange erwartete Antwort zur Schadensregulierung per Mail:
Das eingereichte Kostenangebot ist für mich leider ohne die Erstanschaffungsrechnung der Technik nicht möglich, weshalb ich Sie darum bitte, mir diese nachzureichen.
Eventuell ist es möglich, über den seinerzeitigen Verkäufer eine Zweitrechnung zu erhalten? Auch könnten sich weitere Informationen aus dem Anlagenverzeichnis ergeben?
Notgedrungen wurden die zusätzlich geforderten Unterlagen aus dem Resten des Einbruchschaos der Scoredex-Niederlassung zusammengesucht und bei Steuerberatern angefordert und an die HDI Gerling geschickt.
Als besonders problematisch galt die Forderung der HDI Gerling, Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die beim Einbruch, also dem versicherten Schadensfall, abhanden gekommen waren.
Auf Nachfragen nach Neuigkeiten und Beschwerdemails reagierte der Versicherer genau so wenig mit einem Regulierungsangebot, wie auf die Mitteilung, dass das Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Einbruch eingestellt worden sei.
Stattdessen zweifelte die Versicherung plötzlich daran, dass überhaupt Unterlagen bei dem Einbruch abhanden gekommen seien.
Es müsse “aus der Akte hervorgehen, dass die Akten bei einem Einbruchsdiebstahl entwendet worden sind und hierfür bereits keine Entschädigung gezahlt worden ist”, heißt es in einem Schreiben der Versicherung.
Mit diesem Argument wurde in Folge auch eine “vorher gemachte Kostenübernahme von Steuerberaterkosten durch die Versicherung spontan zurückgezogen”, ärgert sich der Scoredex-Geschäftsführer.
Ein Indiz für ihre Zweifel habe die HDI Gerling allerdings parat gehabt, wie sie einige Monate später in einem Brief an den Scoredex-Anwalt mitteilt:
Die Originalunterlagen haben wir angefordert, da es nicht plausibel erscheint, dass die von uns geforderten Unterlagen entwendet worden sind, der Nutzungsvertrag jedoch sich in Kopie in der Hand des VN befand.
Ein Versicherungsnehmer sei also nach Meinung der HDI Gerling schon deshalb verdächtig, weil er Kopien von geklauten Verträgen besitzt oder diese von seinem Steuerberater beschaffen kann. Eine juristische Meinung, die wohl nur in der HDI-Schadensregulierung mehrheitlich vertreten wird.
HDI Gerling spielt auf Zeit
Wie so vielen HDI Gerling Kunden (nachzulesen im Verbraucherschutzforum Reclabox) verweigerte die Versicherung auch Scoredex in den nächsten Monaten sowohl die Schadensregulierung als auch eine angemessene Kommunikation.
In der Regel hieß es in den automatisch generierten Antwortmails, der Sachbearbeiter sei aktuell krank beziehungsweise im Urlaub. Man könne sich in dringenden Fällen aber gerne an die allgemeine Hotline wenden.
Die Anfragen würden allerdings nicht automatisch weitergeleitet und erst einmal auch nicht bearbeitet, wie beispielweise aus einer Mail des Regulierungsbeauftragten Merkin vom 19. Januar 2016 hervorgeht:
…vielen Dank für Ihre Mail. Ich bin derzeit nicht im Büro (Urlaub) und wieder am 02.02.16 erreichbar. Ihre E-Mail wird nicht weiter geleitet…
Auf Nachfrage von GoMoPa, ob es bei der HDI üblich sei keine Vertretung zu benennen, antwortet die Presseabteilung:
Die Schadenbearbeitung bei der HDI Versicherung AG arbeitet bei Abwesenheiten mit funktionierenden Vertretungsregelungen.
Glaubt man den Erfahrungswerten der Nutzer im Verbraucherschutzforum Reclabox, gehören funktionierende Vertretungsregeln und eine schnelle Bearbeitung von Kundenanfragen nicht gerade zu den Stärken der HDI Gerling. Diverse Nutzer beklagen die schlechte Erreichbarkeit und langwierige Schadensregulierung der Versicherung.
Beispielsweise beschwert sich Mario L.:
Über 11 Wochen telefoniere ich nun jede Woche hinterher und bekomme immer eine andere Aussage.
Bis heute habe ich kein Geld der HDI erhalten, noch für den Schaden noch für den Aufwand, immer wieder zu telefonieren, zum Gutachter zu fahren etc., obwohl der Fall klar ist.
Wenn man hier weitere Beschwerden über die HDI liest, sieht es beinahe so aus, als ob die HDI kein Geld mehr habe. In einer Beschwerde heißt es:
Ich empfehle jedem, niemals zur HDI zu gehen oder wenn ihr einen Unfall mit einem Versicherungsnehmer der HDI habt, direkt einen Anwalt hinzuzufügen.
HDI Gerling: Spitzenposition bei Kundenbeschwerden
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) veröffentlicht jährlich eine Statistik mit der Beschwerdequote über Versicherungsunternehmen. Ganz vorne mit dabei ist meist die HDI Gerling.
Im Bereich der Haftpflichtversicherung schneidet sie von den großen Versicherungen mit weitem Abstand am schlechtesten ab. Mit 2,2 Beschwerden je 100.000 Versicherte ist die Beschwerdequote bei der HDI Gerling rund zweieinhalb Mal so hoch wie der Durchschnitt aller Versicherungen (0,9 Beschwerden je 100.000 Versicherte).
Auf Nachfrage von GoMoPa interpretiert Melanie Staudt, Pressesprecherin der HDI Gerling, die überdurchschnittlich hohe BaFin-Beschwerdequote auf sehr eigene Weise:
Für die HDI Versicherung AG wurden 2015 bezogen auf rund 6 Millionen versicherte Risiken insgesamt 216 BaFin-Beschwerden zu Vertrags-und Schadenangelegenheiten eingereicht (Haftpflicht-, Unfall-, Sach-, Kraftfahrtversicherungen).
Die BaFin weist in ihrer Statistik grundsätzlich alle dort eingereichten Beschwerden aus. Lediglich rund 10 % von den 216 eingegangenen BaFin-Beschwerden bezogen sich auf Haftpflicht-, Unfall-und Sach-Schadenfälle. Auch bezogen auf angemeldete Schadenfälle ist damit die Beschwerdequote sehr niedrig.”
Die HDI Gerling-Pressesprecherin erläutert im Anschluss, dass man sich bei der Bewertung der Kundenzufriedenheit weniger auf die offiziellen Statistiken der BaFin verlasse, sondern lieber auf eigene Zahlen:
Im Rahmen der Geschäftssteuerung führt HDI regelmäßig Kundenzufriedenheitsbefragungen auch zur Schadenbearbeitung durch, die seit vielen Jahren eine insgesamt hohe Zufriedenheitsquote spiegeln.
Konkrete Zahlen möchte die HDI Gerling allerdings nicht nennen.
Auf die Frage nach der durchschnittlichen Bearbeitungszeit von der Meldung eines Schadens bis zur Regulierung erhielt GoMoPa keine Antwort.
Viele HDI-Gerling-Kunden sind unzufrieden
Eine Netzrecherche bringt schnell den Grund für die vielen Beschwerden von Versicherten der HDI Gerling ans Licht: Verzögerungen bei der Regulierung von Schäden.
Julia Fiebelkorn beispielsweise beschwert sich im Verbraucherschutzforum ReclaBox:
Nach einen schweren Raub und die Übermittlung an die Schadensabteilung der gestohlen Dinge nach mehr als 3 Monaten immer noch keine Regulierung.
Angekommen sind meine Schreiben, wie mir nach langem Warten am Telefon gesagt wurde.
Sie hatten noch keine Zeit, es zu bearbeiten! Frechheit und total unfreundlich am Telefon.
Diverse Versicherte klagen ebenfalls über lange Antwortzeiten, Hinhaltetaktiken und schlechte Informationspolitik der HDI Gerling. Viele von ihnen äußern das Gefühl, nur durch juristische Mittel zum Ziel kommen zu können.
Bei der HDI Gerling will man von solch schlechtem Geschäftsgebaren hingegen nichts wissen, sondern verweist auf die professionelle Regulierungstaktik des Versicherungsunternehmens:
Die Prozessquote ist für das von uns betriebene Segment unauffällig. Unsere Grundphilosophie ist aber, auch in strittigen Fällen Prozesse durch professionelle Schadenverhandlungen einschließlich außergerichtlicher Konfliktbeilegung (um Beispiel auch Mediation und Schlichtung) möglichst zu vermeiden.
Keine Regulierung: HDI Gerling setzt Gutachter ein
Ein beliebtes Mittel von Versicherungsunternehmen, um die Schadensregulierung hinauszuzögern oder die Schadenssumme zu reduzieren, ist der Einsatz von Gutachtern. Diese sind unabhängige Sachverständige, die allerdings meist regelmäßig im Auftrag der Versicherungsunternehmen arbeiten.
Die hohe finanzielle Abhängigkeit der Gutachter war sogar Thema im Deutschen Bundestag.
Seit 2013 müssen Gutachter und Sachverständige vor Gericht Zweifel an ihrer Unabhängigkeit selbst ausräumen. Etliche Versicherungen besäßen Macht über die meisten Sachverständigen, als sie deren Honorarabrechnungen erstatten oder kleinlich kürzen könnten, heißt es in der entsprechenden Petition (Petition Nr. 12609).
Auch Scoredex durfte Erfahrungen mit einem Gutachter der HDI Gerling machen.
Am 19. Januar 2016 schickte der Geschäftsführer an den Regulierungsbeauftragten Merkin eine Mail mit deutlichen Worten:
Ich schliesse keine Versicherung ab, um mich im Schadensfall mit meinem Vertragspartner zu streiten.
Nach Wochen der Regungslosigkeit meldete sich der Regulierungsbeauftragte der HDI Gerling dann am 2. Februar 2016. Er bräuchte nur noch die “Liste des Anlagevermögens mit Kennzeichnungen des Netzwerksadministrators”. Danach hoffe er “den Schaden insgesamt der Höhe nach abschließen zu können.”
Nachdem auch die Drohung mit juristischen Schritten bei der HDI Gerling zu keiner Regung führte, ging am 24. März 2016 ein Anwaltsschreiben von Scoredex mit einer Klageandrohung an das Versicherungsunternehmen. Erst jetzt sah sich der Regulierungsbeauftragte der HDI Gerling gezwungen zu handeln.
Allerdings war von einer Regulierung des Schadens keine Rede mehr, stattdessen kündigte die Versicherung an, das Sachverständigenbüro Dr. Wendorff GmbH als Gutachter einschalten zu wollen.
Nach anwaltlicher Aufforderung bestätigte HDI-Mann Merkin zwar, dass die Versicherung die Einstandspflicht anerkenne, aber erst den Schaden regulieren werde, wenn die Schadenshöhe durch einen Gutachter geprüft worden sei.
Nach weiteren zwei Monaten Wartezeit kam dann am 24. Juni 2016, fast ein Jahr nach Eintritt des Einbruchschadens, Post vom Gutachter Ralph Colditz (Dr. Wendorff GmbH).
Anstelle einer sachlichen Auseinandersetzung verlangten diese erst einmal die Vorlage einer anwaltlichen Vollmacht und im Anschluss erneut die Übersendung aller Unterlagen, die der HDI Gerling bereits vorlagen. Danach herrschte wieder Funkstille sowohl von Seiten der Versicherung, als auch des Gutachters.
GoMoPa wollte von den Sachverständigen wissen, ob derart lange Wartezeiten üblich seien.
Dr. Joachim Wendorff antwortete persönlich und erklärte, dass die Verzögerungen in der Regel durch den Versicherungskunden verursacht werden und es keine Hinhaltetaktik der Versicherungen und Gutachter gäbe:
Die Bearbeitungsfrist eines Schadenfalls wird im Wesentlichen geprägt durch die Bereitschaft des Geschädigten, die zum Schadennachweis benötigten Unterlagen zur Verfügung zu stellen und Prüfungs- und Besichtigungstermine zu ermöglichen.
Weder die HDI Gerling noch Dr. Joachim Wendorff wollten Fragen dazu beantworten, wie viele Mandate das Gutachterbüro von der HDI Gerling jährlich erhält.
Statt Schadensregulierung setzt die HDI Gerling auf Hinhaltetaktik
Weitere fünf Monate später, nach mehrmaligem Nachhaken des Scoredex-Anwalts, kam wieder Bewegung in die Angelegenheit.
In einer Mail Wolfgang Schroers, einem Mitarbeiter des HDI Service Centers, an den Regulierungsbeauftragten Andreas Merkin vom 14. November 2016 heißt es, dass die HDI aufgrund der hohen Kostenvoranschläge für die Datensicherung einen “Kupfrian einschalten” wolle, da keine ordnungsgemäße Datensicherung bei Scoredex vorliegen würde und damit der Betriebsunterbrechungsanteil entfalle. Man wolle aber “versuchen hier einen nachvollziehbare Lösung zu finden, um den Fall abschließen zu können.”
Was die HDI Gerling unter einer nachvollziehbaren Lösung verstand, hatte Merkin dem Scoredex-Geschäftsführer aber schon Monate vorher telefonisch mitgeteilt: 10.000 Euro sofort und der Fall sei erledigt.
Er könne sich bei der langen Bearbeitungszeit und einem solchen Angebot bei einen Schaden von mindestens 130.000 Euro des Gefühls nicht erwehren, dass die HDI Gerling darauf setzt “geschädigte Unternehmen in die Insolvenz zu treiben”, begründet Scoredex-Geschäftsführer Mark Vornkahl die Ablehnung des Angebots.
In einem Schreiben des Scoredex-Anwalts vom 6. Dezember 2016 an den HDI-Regulierungsbeauftragten Andreas Merkin heißt es in diesem Zusammenhang:
Ich darf letztmalig darum bitten, noch dieses Jahr einen tragbaren Vorschlag zu unterbreiten. Anderenfalls bin ich beauftragt, die Sache doch gerichtlich klären zu lassen. Es kann einfach nicht sein, dass man einen Kunden seit nunmehr 18 Monaten hängen lässt, ohne auch nur den unstreitigen (minimalen) Teil des Schadens zu begleichen.
Zwei Tage vor Weihnachten kam dann die überraschende Antwort der HDI Gerling. Andreas Merkin bittet per Mail um die Übersendung aller Unterlagen, die im Laufe der letzten 18 Monate bereits an die Versicherung und den Gutachter gesendet wurden.
Scoredex hat der HDI Gerling eine letzte Frist “für ein Angebot zur angemessenen Schadensregulierung” gesetzt. Es bleibt also spannend. Nun denn…