Pflegeservice Smart – die Schweizer Firma USM AG verkauft an deutsche Pflegebedürftige per Telefon einen Service, der sonst kostenlos ist. Zudem nennt sie die Uni Leipzig als Partner. Die allerdings weiß davon nichts.
Ein teurer Service: Pflegebedürftige sollen Geld für eine Leistung zahlen, die sie auch kostenlos bekommen können.
Der Anrufer ist gut informiert. Zumindest kann er den Rentner aus dem Salzlandkreis südlich von Magdeburg mit dessen Namen ansprechen. Und: Er kennt seine Pflegestufe. Die sagt er gleich zu Beginn des Telefonats und macht dann ein Angebot.
„Mit derartigen Daten ausgerüstet, lässt sich bei einem eigentlich unerwarteten Anruf sofort Vertrauen aufbauen. Betroffene fühlen sich persönlich angesprochen und beraten“, so Michèle Scherer, Juristin bei der Verbraucherzentrale Brandenburg, die das Phänomen auch kennt.
Der Anrufer will dem Senior zu viel Geld verhelfen. Insgesamt über 6.000 Euro seien drin, sagt er. Obwohl der 84-Jährige, so wird er es später der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt erzählen, ablehnt, kommt nach ein paar Tagen eine Rechnung per Post. 129 Euro „Servicepauschale“ werden geltend gemacht. Gestellt wurde die Rechnung von der United Swiss Marketing AG (USM AG), die auf ihrem Anschreiben sogar die Universität Leipzig als Forschungspartner nennt.
Pflegeservice Smart: Daten von anderen Abzockfirmen übernommen
Die Angerufenen wissen meist nicht, woher die Anrufer ihre Nummern haben, noch können sie sich daran erinnern, irgendeinen Vertrag abgeschlossen zu haben. „Woher die Anrufer die Nummern der Verbraucher haben, ist uns auch nicht bekannt, es ist jedoch denkbar, dass Telefonbücher systematisch nach älter klingenden Vornamen durchforstet werden oder einfach Daten der anderen Abzockfirmen übernommen worden sind“, sagt Gabriele Bernhardt, Juristin bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
„Der Anbieter nutzt nach unserer Auffassung den Überraschungseffekt aus: Die Betroffenen wollen in der Regel die gebotene Leistung gar nicht, die aus Informationen besteht, die man kostenlos im Internet beispielsweise auf Seiten der Pflegekassen findet oder etwa bei örtlichen Pflegestützpunkten erhält“, klärt Michèle Scherer von der Verbraucherzentrale Brandenburg (VZB) auf.
Die zwölfseitigen Informationen, die die Betroffenen nach Telefonaten unter anderem erhalten, sind aus Sicht der VZB allgemein gehalten. Die „Serviceleistung“ enthält weder eine individuelle Bedarfsanalyse noch eine Einschätzung der Pflegesituation und beinhaltet keine Pflegeberatung, wie der Anbieter selbst darlegt. Dafür erhalten die Betroffenen eine Rechnung in Höhe von 129 Euro.
Hier gibt es die Infos kostenlos
Die Verbraucherzentrale Brandenburg hat auf ihrer Internetseite die verschiedenen Pflegeleistungen aufgeschlüsselt und informiert über Beratungsangebote.
Pflegeservice Smart – widerrufen und nicht bezahlen
„Wer einen solchen Vertrag untergeschoben bekommen hat, sollte sich auf jeden Fall wehren, widersprechen, den angeblich geschlossenen Vertrag widerrufen und auf keinen Fall bezahlen“, so Gabriele Bernhardt von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Auf der Website der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg finden betroffene Verbraucher einen kostenlosen Musterbrief, um dem nicht gewünschten Vertrag zu widersprechen.
Auch die Verbraucherzentrale Brandenburg rät, einem Vertragsschluss am Telefon nicht zuzustimmen und bei unerwünschten Anrufen das Gespräch besser sofort zu beenden. Wenn doch eine Rechnung ins Haus flattert, sollte man umgehend den Widerruf erklären, selbst wenn man der Meinung ist, dass man keinen Vertrag abgeschlossen hat. Dazu bietet die Verbraucherzentrale einen allgemeinen Musterbrief an.
Familien oder Nachbarn sollten helfen
„Bisher haben wir die Erfahrung gemacht, dass der Widerruf per Mail gut funktioniert hat“, erklärt Bernhardt weiter. Doch die Betroffenen hatten meist das Glück, Angehörige zu haben, die sich um die Angelegenheit gekümmert haben. Wer keine Verwandtschaft hat, die sich um den Widerruf kümmert, hat oft das Nachsehen, ist mit der Abzocke überfordert und bezahlt letztlich Geld für eine Dienstleistung, die nie gewollt war.
Vorsicht auch vor angebotenen Nahrungsergänzungsmitteln am Telefon
Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg wird den „Pflegeservice Smart“ weiterhin im Auge behalten und rechtliche Schritte prüfen – zumal es sich bei der United Swiss Marketing AG um keine Unbekannte handelt. Unter derselben Geschäftsadresse firmieren ebenfalls die „Bonafair AG“ und die „Mönchshofer AG“ – Firmen in der Schweiz, die ebenfalls ungefragt bei älteren Menschen anrufen, sie in Gespräche verwickeln und dann Nahrungsergänzungsmittel samt saftiger Rechnung schicken.
Für Fragen rund um Geschäfte am Telefon oder an der Haustür können Verbraucher:innen die individuelle Beratung der Verbraucherzentrale Brandenburg in Anspruch nehmen:
- Vor-Ort- oder Telefonische Beratung, Terminvereinbarung erforderlich unter 0331 / 98 22 999 5 (Mo bis Fr, 9 bis 18 Uhr) oder online unter www.verbraucherzentrale-brandenburg.de/terminbuchung,
- E-Mailberatung auf www.verbraucherzentrale-brandenburg.de/emailberatung Nun denn… (Peter Stracke)
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