Die 2012 auf den Markt gebrachte Shitstorm-Versicherung der Allianz für Unternehmen verkaufte sich eher schleppend, weil der Versicherer lediglich die Kosten für PR-Berater zur Rufwiederherstellung und für Rechtsanwälte zum Mundtotmachen von Medien bezahlte.
Ähnlich, wie es die Versicherungen Swiss Re, die Zürich Versicherung oder die Axa in der Schweiz handhaben.Die Allianz betont zwar, dass es auch für dieses Angebot viel Interesse gegeben habe. “Es hatte sich aber noch nicht breit verkauft”, gibt Manager Martin Zschech, Regional Head of Financial Lines in Zentral- und Osteuropa der Allianz-Tochter AGCS zu.
Das änderte sich schlagartig in diesem Sommer, seit die Allianz-Tochter Allianz Global Corporate & Specialty SE (AGCS) aus München nun endlich eine Reputation Protect Police auf den Markt brachte, die auch entgangene Gewinne ersetzt, die durch negative Berichterstattung ausgelöst wurden.
Und zwar für die Dauer von 90 Tagen und höchstens bis 25 Millionen Euro. Die Beiträge dafür werden für jede Firma individuell ermittelt, sie bewegen sich im fünfstelligen Bereich. Es kann auch höher sein. Die Zielgruppe sind mittelgroße Unternehmen. Dafür gebe es Zugriff auf internationale Krisenkommunikationsberatungen, auf Medienanalysen und zahlreiche Hilfestellungen, schon bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Und nun neu dazu: den entgangenen Gewinn.
Einen Sturm von Anfragen gebe es jedenfalls schon mal, heißt es aus der Münchner Zentrale, und die würden nun individuell geprüft.
Die AGCS will zunächst Unternehmen ab 250 Millionen Euro Umsatz bis maximal fünf Milliarden Euro gewinnen. Meistens bietet sie Versicherungssummen bis zu zehn Millionen Euro an, bei größeren Unternehmen bis 25 Millionen Euro.
Für noch größere Fälle gibt es bereits seit 2012 vom Konkurrenten Munich Re die Reputationsversicherung Munich Re Topics Risk Solution, die ebenfalls entgangene Gewinne bezahlt.
Der Münchener Rückversicherer verspricht Unternehmen im Fall einer schweren Reputationsbeschädigung einen finanziellen Ausgleich bei einem Gewinnrückgang. Die Reputationsschadenversicherung deckt Gewinneinbußen von bis zu 50 Millionen Euro ab; in Einzelfällen auch bis zu 150 Millionen Euro.
Bei großen Konzernen kann der Schaden in die Milliarden gehen
Die Munich Re richtet sich mit ihrem Konzept an Großunternehmen ab 500 Millionen Euro Umsatz.
Vor Augen hat die Munich Re vor allem Schadensereignisse wie Produktrückrufe, Datenpannen und Fehlverhalten. Bei der Berechnung der Schadensumme greift die Gesellschaft auf eine eigens entwickelte Umfrage bei Kunden und potenziellen Kunden zurück, “die ermittelt, wie viele Kunden die Marke aufgrund des Ereignisses negativ wahrnehmen und derzeit von einem Kauf eines Produkts dieser Marke absehen. Aus diesem Anteil errechnet sich der Anteil des Umsatzrückgangs, der auf das reputationsschädigende Ereignis zurückzuführen ist.”
Oft sind die Medien nur die Träger einer solchen Kampagne und nicht die eigentlichen Verursacher.
Deshalb gibt es eine nicht unbedeutende Einschränkung bei den Shitstorm-Policen:
Nicht versicherbar sind Straftaten in der Chefetage. Allianz-Manager Martin Zschech, Head of Financial Lines – Region Central & Eastern Europe at Allianz Global Corporate & Specialty SE (AGCS) sagte der Deutschen Presseagentur (DPA-infocom GmbH):
Wenn jemand straffällig geworden ist, werden wir das nicht abdecken.
Zum VW-Dieselskandal schweigt die Versicherungsbranche höflich.
Die Folgen eines Skandals können über Umsatzverluste weit hinaus gehen. Dazu zählen etwa sinkender Unternehmenswert, fallender Börsenkurs oder die Abwanderung von Top-Managern. Das sagt Martin Vollbracht von Media Tenor International, einer auf Medienanalysen spezialisierten Schweizer Unternehmensberatung, mit der die Allianz kooperiert. Zu den typischen Gefahren für den guten Ruf zählen Hackerangriffe oder Datenschutzverstöße.
Ein Skandal kann den Ruf eines Unternehmens ruinieren – und im Extremfall die Existenz kosten.
Zum Beispiel der Hackfleisch-Krieg gegen FC Schalke 04 Aufsichtsratschef Clemens Tönnies (62)
Der Vorstandsvorsitzende von Deutschlands größtem Schweineschlachter Tönnies Holding ApS & Co. KG (2017: 20,6 Schweineschlachtungen, 432.000 Rinderschlachtungen und -zerlegungen, Konzernumsatz 6,9 Milliarden Euro, 16.500 Mitarbeiter) aus Rheda-Wiedenbrück in NRW musste von 2006 bis 2011 einen hässlichen öffentlichen Hackfleisch-Krieg überstehen.
Es ging darum, ob Tönnies überhaupt je wieder für die Discounter Aldi, Edeka, Lidl oder Rewe liefern wird oder ob das künftig Deutschlands größter Rinderschlachter, die niederländische Vion Holding mit Sitz in Düsseldorf und dem Ökonomen Dr. Uwe Tillmann an der Spitze, übernehmen wird.
Weil Tönnies nicht an den Rivalen Dr. Tillmann von der Vion Holding verkaufen wollte, löste dieser 2006 mit einer anonymen Anzeige gegen Tönnies einen erbitterten Fleischkrieg aus, wie Dr. Tillmann in einer Stadionloge persönlich zugegeben haben soll und wie GoMoPa berichtete.
Tönnies wurde anonym mit einer Flut von 24 Strafvorwürfen konfrontiert.
Sie reichten von Schwarzarbeit, Verkauf von Gammelfleisch und gewerbs- und bandenmäßigem Betrug, Schmiergeldzahlungen, Manipulationen an der Waage, Sozialversicherungsschummeleien beim Einsatz von Werkvertragsarbeitern, Gewichtsmanipulationen durch “Hirnabsaugung vor dem Wiegevorgang”, Verarbeitung von dickblutigem Stichfleisch bis hin zu falschen Hackfleischmischungen.
Nach 60 Razzien und knallharten Ermittlungen durch eine eigens eingerichtete Sonderkommission beim Landeskriminalamt NRW mit dem Codenamen Fish (fraud in slaughterhouse – Betrug im Schlachthaus) und einem scharfen Steuerfahnder, der sogar nach Zypern flog, um dort angebliches Schwarzgeld von Tönnies zu suchen, lagen bei Tönnies die Nerven blank:
Wenn das “so weiter geht”, knurrte der Westfale Reporter der Süddeutschen an, könne es passieren, dass er “eines Tages mit zehn Litern Benzin zum Marktplatz” seiner Heimatstadt Rheda marschiere und sich anzünde.
Die Geschichte endete schließlich im August 2011 ohne Anzünden vor dem Essener Landgericht mit der Einstellung des Strafverfahrens.
Allerdings musste Tönnies als Geldauflage 2,9 Millionen Euro an die Landeskasse NRW und soziale Einrichtungen zahlen, Aktenzeichen 56 KLs 21/09 Landgericht Essen.
Damals gab es noch keine Image-Krisenversicherung. Die erste und auch nur zur Bezahlung eines Krisenstabes und von Rechtskosten war dann im Jahr 2011 die Police ReputationGuard vom US-amerikanischen Versicherer Chartis. 2012 folgten Allianz und Munich Re in Deutschland.
Laut dem alljährlichen “Risikobarometer” der Allianz hatte 2013 gut jedes zehnte Unternehmen Sorgen vor “Reputationsschäden”, 2018 war es bereits fast jedes achte. In die alljährliche Umfrage fließen die Einschätzungen von gut 1.900 Risikoexperten aus 80 Ländern ein. Die Angst vor dem Shitstorm steigt demnach in den Chefetagen weltweit.
Martin Zschech von der Allianz-Gesellschaft AGCS:
Wir wollen unsere Kunden vor, während und nach der Krise unterstützen.
Reputationskrisen zählen laut dem Allianz Risk Barometer 2018 zu den zehn größten Unternehmensrisiken weltweit.
Martin Zschech warnt:
Trotzdem sind viele Unternehmen noch immer erst mangelhaft gegen die Folgen einer Reputationskrise abgesichert.
Das ist umso bedenklicher, weil sich die Auslöser für derartige Krisen im Social Media-Zeitalter vervielfacht haben.
In früheren Jahrzehnten waren es in der Regel Ermittler oder Journalisten, die Skandale ans Tageslicht brachten. Inzwischen bricht sich häufig in den sozialen Netzwerken Empörung Bahn, bevor Medien – oder Staatsanwälte – ein Thema aufgreifen. Zudem machen es die sozialen Netzwerke nahezu unmöglich, kompromittierende Nachrichten unter der Decke zu halten.
“Fast 70 Prozent der Krisen verbreiten sich innerhalb von 24 Stunden international”, sagte Natali Brandes, eine auf Unternehmenskrisen spezialisierte Fachfrau bei CNC Communications – das Beratungsunternehmen kooperiert mit der Allianz.
Das hat auch finanzielle Konsequenzen, denn Reputation macht zwischen 20 und 60 Prozent des Unternehmenswertes aus, wie Studien belegen.
Nach einer Erhebung von Oxford Metrica stieg der Aktienkurs nach einem Mediengau bei gutem Krisenmanagement im Folgejahr auf rund zehn Prozent über den Vorkrisenwert. Bei schlechter Handhabung fiel der Aktienkurs dauerhaft um mehr als 15 Prozent.