Im Wirecard-Krimi überschlagen sich die Ereignisse. Die Staatsanwaltschaft München I hat gestern früh bei der zuständigen Ermittlungsrichterin des Amtsgerichtes München einen Haftbefehl gegen den am Freitag zurückgetretenen Vorstandsvorsitzenden der Wirecard AG, den Österreicher Dr. Markus Braun, beantragt und erhalten.
Die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft München I, Obersaatsanwältin Anne Leiding, teilte vor einer halben Stunde mit:
Wie wir soeben erfahren haben, wurde der Haftbefehl gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Wirecard durch die Ermittlungsrichterin gegen Auflagen, wie insbesondere die Zahlung einer Kaution vom 5 Millionen Euro und einer wöchentliche Meldung bei der Polizei außer Vollzug gesetzt.
Das bedeutet, das zur Sicherung des Hauptverfahrens derzeit ein Vollzug des Haftbefehls als nicht erforderlich angesehen wurde, zumal sich der Beschuldigte selbst gestellt hat.
Der Haftbefehl ist damit nicht etwa aufgehoben, sondern wird derzeit nur nicht vollzogen.
Der Beschuldigte wird entlassen werden, sobald die Sicherheitsleistung in voller Höhe hinterlegt wurde.
Der Beschuldigte Dr. Braun hat sich daraufhin noch gestern Abend bei der Staatsanwaltschaft München I gestellt. Er wird heute im Laufe des Tages der Ermittlungsrichterin vorgeführt werden, die über die Haftfortdauer entscheidet.
Pressesprecherin Oberstaatsanwältin Anne Leiding teilte zuvor mit:
Nach ihren bisherigen Ermittlungen legt die Staatsanwaltschaft München I dem Beschuldigten zur Last, gegebenenfalls im Zusammenwirken mit weiteren Tätern die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der Wirecard AG durch vorgetäuschte Einnahmen aus Geschäften mit sogenannten Third-Party-Acquirern (TPA) aufgebläht zu haben, um so das Unternehmen finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen.
Besonders im Fokus der hinsichtlich dieses Tatvorwurfs erst seit wenigen Tagen laufenden Ermittlungen stehen angebliche Bankguthaben auf Treuhandkonten bei zwei philippinischen Banken in Höhe von mehr als 1,9 Milliarden Euro.
Der Vorstand des Zahlungsdiensteabwicklers Wirecard hat in der Nacht von Sonntag auf Montag gegen 3.00 Uhr früh in einer adhoc-Mitteilung erklärt, dass diese Bankguthaben “mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen”.
Nach derzeitiger rechtlicher Prüfung, so die Staatsanwaltschaftssprecherin, begründet das Verhalten von Dr. Braun “den Verdacht der unrichtigen Darstellung jeweils in Tateinheit mit Marktmanipulation gemäß § 331 Handelsgesetzbuchs, § 119 Wertpapierhandelsgesetzes in mehreren Fällen.”
Der Aktienkurs des DAX-Konzerns war bereits nach der Mitteilung über die fehlenden 1,9 Milliarden Euro von 100 Euro auf 15 Euro abgestürzt.
Etwa 15 Banken hatten der Wirecard AG 2 Milliarden Euro Kredit ausgereicht beziehungsweise Kreditlinien eingeräumt. Vor einiger Zeit hat das Unternehmen eine Anleihe ausgegeben und mit dem japanischen Investor Softbank eine Kooperation beschlossen; beides hat ihm frische Liquidität verschafft.
Einige Großaktionäre fordern den Rücktritt des gesamten Vorstands. Am Donnerstag (18. Juni 2020) wurde zunächst Jan Marsalek, einer der vier Vorstände des Unternehmens, frei gestellt, weil die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (Ernst & Young) den Jahresabschluss für 2019 nicht testiert hatte.
Bereits am 5. Juni 2020 war die Staatsanwaltschaft zu einer Razzia in der Firmenzentrale im Einsteinring 35 in Aschheim bei München angerückt, wie GoMoPa berichtete.
Wenige Tage zuvor hatte die Finanzmarktaufsicht BaFin die Wirecard-Vorstände wegen falscher Marktinformationen rund um die Überprüfung des Konzerns durch die Berliner Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG angezeigt. In einer Stellungnahme hatte eine Wirecard-Sprecherin betont, dass sich die Ermittlungen nur gegen die vier Vorstände, aber nicht gegen die Firma richten würden.