Shitstorms, Identitätsdiebstahl und professionell aufgezogene Hasskampagnen. Cybermobbing hat sich, durch die Digitalisierung unseres Lebensalltags, in den letzten Jahren zu einem weitverbreiteten Problem entwickelt. Fast jeder Dritte Deutsche war schon einmal von Mobbing betroffen. Und auch Unternehmen leiden verstärkt unter gezielten Angriffen von Wettbewerbern. Die Folgen sind für die Betroffenen dramatisch.
Mobbing, Lästerei und Diffamierung gab es zwar schon immer, doch mit dem Siegeszug von sozialen Medien, wie Facebook, Twitter & Co. hat sich die Problematik massiv verstärkt. Im Schutz der Anonymität fallen Hemmungen, Empathie ist im Netz zu einem Fremdwort geworden.
Im schlimmsten Fall fordern die Hasstiraden Todesopfer, wie die 14-Jährige Hannah Smith. Das junge Mädchen hatte auf der Internetplattform “Ask.fm” nur Rat zur Behandlung eines Exzems gesucht.

Statt eine Antwort zu bekommen, geriet die Schülerin ins Visier eines wütenden Internetmobs. Beleidigungen und Beschimpfungen der Nutzer steigerten sich bis zur Aufforderung zum Selbstmord. Die anonymen Cyberattacken wurden immer heftiger, bis Hannah Smith es nicht mehr ertragen konnte und sich selbst erhängte. Selbst nach dem Tod der Tochter musste die Familie weitere Beschimpfungen und Beleidigungen ertragen.
Ein Einzelfall? Keineswegs. Eine 17-Jährige Schülerin erhängte sich im selben Jahr, nachdem Mitschüler Fotos von ihrer Vergewaltigung ins Internet gestellt hatten und sie deshalb monatelang beschimpft und belästigt wurde.
Nur wenige Monate vorher hatte sich ein 15-Jähriger das Leben genommen, nachdem er im Internet über mehrere Monate von Unbekannten als Vergewaltiger diffamiert wurde.
Selbstverständlich endet Cybermobbing nicht immer in solchen Extremszenarien. Dennoch wird deutlich, wie schwerwiegend die Folgen sind.
Die 2014 durchgeführte Studie “Mobbing und Cybermobbing bei Erwachsenen”, des Bündnis gegen Cybermobbing e.V. mit Unterstützung der ARAG SE, analysiert das häufig unterschätzte Ausmaß von Mobbing im Alltag.
28 Prozent aller Befragten gaben an, bereits Opfer von Mobbing gewesen zu sein. Bei Frauen liegt das Risiko sogar signifikant höher als im Bevölkerungsdurchschnitt bei 33 Prozent. Bei unter Dreißigjährigen liegt die Betroffenheitsquote sogar bei 36 bis 41 Prozent.
Besonders prekär ist die Situation für die 39 Prozent der Mobbingfälle, die länger als ein Jahr anhalten und somit eine dauerhafte Belastung für die Opfer darstellen. Mehr als zehn Prozent der Mobbingopfer hegen Selbstmordgedanken. Klaus Heiermann, Generalbevollmächtigter der ARAG S.A, beschreibt die Folgen von Mobbing:
Die oftmals schweren Folgen können sich auf die physische wie psychische Gesundheit der Opfer sowie auf ihr privates und berufliches Umfeld erstrecken – und im äußersten Fall zu einer existentiellen Notlage führen. Fast 50 Prozent der Betroffenen von Mobbing und Cybermobbing klagen über Persönlichkeitsveränderungen und Depressionen. Extremausprägungen sind schwindendes Selbstwertgefühl, Zwangsstörungen sowie die Flucht in Alkohol oder andere Suchtmittel. Mehr als jedes zehnte Opfer stuft sich sogar als suizidgefährdet ein. Aus Scham oder vermeintlicher Ohnmacht suchen sich die Betroffenen trotz eines hohen Leidensdrucks oft keine oder erst sehr spät Hilfe. 23 Prozent der Befragten lassen die Angriffe ohne jegliche Reaktionen über sich ergehen.
Für Unternehmen entwickelt sich das Internet zur Reputationsgefahr
Während Menschen meist an den psychischen Folgen von Cybermobbing zu knabbern haben, besteht bei Unternehmen ein erhöhtes Risiko von Reputationsschäden durch Negativeinträge im Internet. Je nach Anlass, Umfang und Dauer kann dies zu erheblichen finanziellen Schäden, bis hin zur Insolvenz führen.

Durch die weitverbreitete Verfügbarkeit von Onlinediensten, beispielsweise über mobile Computer, Tablets und Smartphones, hat die Bedeutung der Internetreputation für Unternehmen massiv zugenommen. Berechtigte und teilweise auch ungerechtfertigte Kritik müssen sich Unternehmen meist gefallen lassen. Anders ist es bei Schmähkritik und Verleumdungskampagnen.
Insbesondere aus juristischer Sicht ist die Beschäftigung mit dem Thema Cybermobbing allerdings ein kompliziertes Unterfangen. Grundsätzlich sind Meinungsäußerungen vom Grundgesetz geschützt, mit der Einschränkung, dass keine Straftatbestände, wie Beleidigung oder Verleumdung erfüllt sein dürfen.
Schwierig wird es, wenn sich kein Straftatbestand eindeutig feststellen lässt. In diesem Moment konkurrieren zwei Grundrechte miteinander: Einerseits das Recht auf freie Meinungsäußerung, andereseits das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen.
“Das Gesetz ist rein normativ. Unter dieser Ebene beginnt die Rechtsprechung. Und die ist in diesem Gebiet eigentlich nur noch geprägt von moralischen Vorstellungen, von Emotionen”, erklärt der ehemalige OLG-Richter und GoMoPa-Ombudsmann Matthias Schillo.
Es hängt also von Art, Umfang und Dauer der Kritik oder Beschimpfungen ab, ob es sich im Einzelfall um rechtmäßige Meinungsäußerungen oder Cybermobbing handelt.
Schlechte Bewertungen auf Arbeitgeberbewertungsportalen und negative Erfahrungsberichte über die eigenen Produkte und Dienstleistungen müssen sich Unternehmen in der Regel gefallen lassen. Optimalerweise wird die Möglichkeit genutzt, in einen Dialog mit den Nutzern zu treten.
Unangenehmer sind hingegen so genannten Shit-Storms, Stürme der Entrüstung, die in überraschender Geschwindigkeit und Intensität über Unternehmen hereinbrechen. Shit-Storms breiten sich in der Regel viral und innerhalb kürzester Zeit über soziale Medien aus – und enden genauso schnell wie sie begonnen haben.
Vom Spagat zwischen Meinungsfreiheit und Cybermobbing.
Berechtigte Kritik endet dann, wenn Cybermobbing beginnt, also wenn der Persönlichkeitsschutz einer Person oder eines Unternehmens höher zu bewerten ist, als das öffentliche Interesse, die Meinungsfreiheit. Die Grenze läuft fließend, dort wo Schmähkritik, Diffamierung, Beleidigung oder Üble Nachrede beginnen.
Während es beim Mobbing von Privatpersonen meist um Menschen aus dem engeren Umfeld handelt, sind es bei Unternehmen vor allem enttäuschte ehemalige Mitarbeiter oder abgelehnte Bewerber, die auf Rache sinnen.
Eine neue Bedrohung sind professionelle Cyberkriminelle, die ihre Dienste an den Meistbietenden verkaufen.
Das Portfolio der Cyberkriminellen reicht von Übler Nachrede bis hin zu Internetterrorismus, wie das lahmlegen von Webseiten durch Denial-of-Service-Angriffe, und ist bereits ab Kleinstbeträgen, um die 100 Euro, buchbar. Ziel der Auftraggeber: Maximaler Schaden bei der Konkurrenz.
Für kleines Geld lancieren die Profi-Stalker anonyme Gerüchte in Foren und Kommentarfunktionen über Konkurrenten und Wettbewerber der Auftraggeber. Etwas teurer sind anonymisierte Blogseiten bei Anbietern wie WordPress oder Google. In sozialen Netzwerken wie Facebook, Google-Plus oder Twitter hantieren professionelle Internetkriminelle mit Tausenden Fake-Accounts und machen gegen Bezahlung gezielt Stimmung gegen Personen und Unternehmen. In besonders dramatischen Fällen wird auch Identitätsdiebstahl begangen, Accounts unter falschem Namen angelegt oder gefälschte Interviews veröffentlicht.
Ihre Dienstleistungen bieten die Kriminellen als SEO/SMO, negative Suchmaschinenoptimierung oder ganz frech auch als Reputationsmanagement an. Der Kontakt kommt in der Regel online zustande, beispielsweise über XING oder LinkedIn. Gebucht und bezahlt wird komfortabel und anonym mit Bitcoins oder über Zahlungsdienstleister wie Western Union, um die Nachvollziehbarkeit und juristische Verfolgung zu erschweren. Aus den gleichen Gründen verstecken sich die Cyberstalker meist im außereuropäischen Ausland, bevorzugt in Staaten ohne Auslieferungsbkommen.
Ein exemplarisches Beispiel ist der professionelle Cyberstalker Dirk Karl Massat (46)
Nachdem Massat seine Heimatstadt Gelsenkirchen und später auch seine Wahlheimat Hürth, in der er die Firma HP-Komplettservice GbR betrieb, verschuldet und, nach diversen Betrügereien, mit zerstörtem Ruf verlassen musste, wanderte Massat nach Antigua Guatemala aus, um gemeinsam mit seiner Freundin, Perez Contrerasein, ein neues Geschäftsmodell zu etablieren: Negativ SEO.

Mit diversen Unternehmensnamen und Pseudonymen, zum Beispiel Posicionsuperior, Global Net Access, LLC, Black Hat S.A., Dirk Karl Maßat, HP-Komplettservice GbR, Bodo-Norbert Göldner (ESPRIT DATA SOFTWARE), Alexandra Lindner, Lindner Vertrieb, Schulze GmbH, aber auch im eigenen Namen sucht Massat auf den sozialen Netzwerken XING, LinkedIn und Facebook nach Opfern.
Geworben wird mit Negativ- und Blackhat-SEO sowie Reputationsmanagement – Massats spezielles System sei in der Lage jeden negativen Beitrag bei Google zu entfernen. “Völliger Quatsch”, meint ein SEO-Experte, der lieber anonym bleiben möchte: “Es gibt keine Möglichkeit für externe Dienstleister, Beiträge bei Google zu entfernen.”
Nimmt ein Interessent zu Massat Kontakt auf, dann folgen große Versprechungen sowie die Ankündigung, alle Internetprobleme, innerhalb von fünf bis zehn Tagen, zu bereinigen. Der Preis: 5.000 Euro, davon die Hälfte als Vorkasse, die andere Hälfte nach getaner Arbeit. Die Zahlungen sollen über Western Union erfolgen. Empfängerin ist Perez Contreras.
Nach der ersten Abschlagszahlung an Massat beginnt der Ärger.
Anstelle von SEO-Maßnahmen kommen faule Ausreden und weitere Geldforderungen. Angeblich seien hohe Kosten entstanden die der Kunde übernehmen soll.
Weigert sich der Kunde weitere Zahlungen an Massat zu leisten, beginnt dieser tatsächlich mit negativem SEO – gegen den eigenen Kunden. Massat hostet Blogs und verbreitet über diese Beleidigungen und Diffamierungen. Das Spektrum reicht von Betrüger und Abzocker, bis hin zu Vorwürfen der Pädophilie.
Selbstverständlich liefert Massat auch gleich einen Ausweg aus der Misere: Gegen die Zahlung einer fünftstelligen Summe würde er alle von ihm erstellten Negativeinträge löschen, das Cybermobbing würde enden. Massats Kalkül: Wer einmal bereit war, Geld für die Entfernung von negativen Google-Einträgen zu bezahlen, lässt sich sicherlich gut erpressen.
Ähnliche Ansätze wie Massat verfolgen auch Profi-Cyberstalker oder Rufschänder wie zum Beispiel Bernd Pulch. Pulch diffamiert im Auftrag von Kunden Wettbewerber, Konkurrenten, aber auch Journalisten, die ihm ein Dorn im Auge sind.
Die Cyberkriminellen machen sich durch ihre Handlungen nach deutschem Recht strafbar, aber eine Verfolgung ist nahezu unmöglich.