Titelhändler12. April 2011 | 13:26 | Lesedauer ca. 7 min | Autor: GoMoPa-Redakteur SS

Die Titelhändler


Mit kirchlichen Doktorwürden verarztete Dr. Paul Jensen im Jahre 1983 seine ersten titelhungrigen Kunden.

 

Im Jahre 2005 soll er am Strand auf Sylt gesichtet worden sein, wie er für 25.000 Euro einen hohen Titel aus der Staatskirche aus den USA vermitteln wollte. Heute empfängt Dr. Paul Jensen, der seine Abschlussarbeit an der Uni Kiel über “Religiöse Vorstellungskraft von Adolf Hitler” geschrieben haben will, etwa 368 Doktor-Kandidaten im Jahr in seinem Internationalen Akademischen Austauschdienst Hamburg (IAAD) im feinen Hamburger Stadtteil Harvestehude. Er bezeichnet sich selbst als Promotionsberater, auf keinen Fall sei er ein Titelhändler. Nur 100 von den 368 Doktoranden würden pro Jahr die Promotion auch wirklich erlangen, verriet er dem Tagesspiegel.

Wer allerdings 10.000 Euro Honorar in bar mitbringt und weitere 20.000 Euro Studiengebühren bezahlt, sei seinem Doktortitel schon sehr nahe. Alles sei im Bereich des Legalen. Dr. Jensen verspricht auf seiner Firmenseite:

Wir empfehlen unserer Klientel überwiegend die Promotion an staatlich anerkannten Universitäten in Mittel – Ost – Europa, weil dort auch Kandidaten zugelassen werden, die in Deutschland nicht oder nur mit Auflagen zugelassen werden würden.

Auch FH-ler (Abgänger einer Fachhochschule – Anmerkung der Redaktion) haben die Chance, aufgrund des Studiums ohne weitere Auflagen zugelassen zu werden. Diejenigen, die eine Akademie besucht haben, können durch zusätzliche, mündliche Prüfungsleistungen die Zulassung zur Promotion erlangen.

Auch für die 70 Prozent aller deutschen Juristen, die ihr Staatsexamen mit der Note “ausreichend” bestehen und damit nicht promovieren können, ist eine staatlich anerkannte Universität in Mittel-Ost-Europa eine effiziente Alternative.

60 Prozent von Dr. Jensens Klienten seien Ökonomen, 25 Prozent Juristen, dann kämen die Ingenieure, verriet Jensen dem Tagesspiegel. Neben den Abgeordneten aus der Politik, deren Namen Jensen nicht nennt, gehörten beispielsweise eine C4-Professorin aus der ökonomischen Fakultät der Uni Heidelberg, ein C3-Professor der Uni Bremen und mehrere Fachhochschul-Professoren zu seinen Kunden.

Der Finanznachrichtendienst GoMoPa.net bat den Berliner Fachanwalt für Banken- und Kapitalanlagenrecht Dr. Thomas Schulte (Foto © Dr. Schulte) von der Kanzlei Dr. Schulte & Partner Rechtsanwälte um eine Einschätzung der Doktortitel für 30.000 Euro aus Osteuropa.

GoMoPa.net: Herr Dr. Schulte, zu Ihnen in die Praxis kommen viele prominente Doktorträger aus Politik und Wirtschaft, die sich plötzlich einem Ermittlungsverfahren wegen möglichen Titelmissbrauchs ausgesetzt sehen. Was taugen die von Dr. Jensen gemakelten Titel?

Dr. Schulte: “Der Internationale Akademische Austauschdienst Hamburg (IAAD) unter der Leitung von Promotionsberater Dr. Paul Jensen verspricht seinen Klienten Beratung und Begleitung in Promotionsverfahren, welche innerhalb eines Jahres in Osteuropa abgeschlossen werden können. Dabei muss doch insbesondere ein Promotionsberater wissen, dass nach den neuesten Bologna-Verordnungen für ein Promotionsverfahren mindestens eine Promotionszeit von drei Jahren obligatorisch ist. Ferner expliziert jüngst ein SPIEGEL-Artikel, dass Jensen Doktortitel aus Costa Rica und Mexiko innerhalb weniger Wochen offeriert. Dabei sind laut Auskunft der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen Bonn die Doktorgrade mittel- und südamerikanischer Staaten, insofern diese im Rahmen von internationalen Fernstudienabkommen erlangt werden, in Deutschland in keiner Weise führbar. Die Machenschaften des IAAD sind damit als ziemlich bedenklich zu werten.”

GoMoPa.net: Ist Dr. Paul Jensen die Ausnahme?

Dr. Schulte: “Folgt man der Presse weiter, so stößt man auf die West Promotionshilfe in Saarbrücken, welche ein gewisser Prof. Dr. Lamm leiten soll. Nach einigen Recherchen stellt sich heraus, dass das Unternehmen einem gewissen Dirk Biener gehört. Ominös ist in diesem Zusammenhang bereits, dass Biener seiner Impressumspflicht nicht nachkommt und sich auf seiner Internetpräsenz hinter einem Prof. Dr. Lamm verstecken muss. Was hat Biener also zu verbergen? Offensichtlich fürchtet sich Biener vor all jenen Kunden, denen er den Doktortitel versprochen und anschließend verprellt hat, denn einer seiner ehemaligen Kunden packt aus: Biener hat mich um mehr als 40.000 Euro erleichtert und seine Leistungen nur vorgetäuscht. Andere angebliche Promotionsberater, die der Autor selbst kennenlernen durfte, waren offensichtlich insolvent oder der deutschen Sprache nicht mächtig.”

GoMoPa.net: Welche Hilfen sind bei der Doktorarbeit erlaubt?

Dr. Schulte: “Sowohl die Erfahrungen beim IAAD als auch bei der West Promotionshilfe werfen kein gutes Bild auf die Branche der Promotionsberater. Doch trotz alledem ist die Nachfrage nach dem Doktortitel in Deutschland weiterhin ungebrochen. Hilfen sind nur in ganz beschränktem Umfang erlaubt; es geht um die eigene geistige Leistung. Wer sich hier helfen lässt, fällt auf die Nase wie unlängst vor dem Amtsgericht Charlottenburg eine Studentin erfahren musste. Sie beauftragte einen Geistschreiber, der arbeitete schlecht, und die Studentin wollte ihr Honorar zurückfordern. Dies würde eine sittenwidrige Handlung darstellen, sagte die Richterin und wies die Klage ab.

Bei nichtkonformen Verhalten kann der Doktorgrad auch nachträglich durch die Universität wieder entzogen werden. Dagegen kann ein Promotionsberater bei der Suche nach einem fachlich kompetenten Doktorvater behilflich sein, welcher sich punktuell mit dem Forschungsthema des Doktoranden befasst und den Doktoranden zur Universität begleiten. Ferner darf er mit seinen Klienten regelmäßige wissenschaftliche Diskussionen über den jeweils aktuellen Stand der Dissertation führen, Anregungen im Rahmen eines Coaching geben oder den Doktoranden auch über Fördermöglichkeiten (zum Beispiel Doktorandenstipendien) aufklären. Dieses Coaching ist in Ordnung, mehr aber auch nicht.”

GoMoPa.net: Wer kauft sich denn überhaupt einen Doktortitel?

Dr. Thomas Schulte: “In Deutschland gab es im Jahre 2009 gemäß den Angaben des Statistischen Bundesamtes insgesamt 25.084 abgeschlossene Promotionen – allen voraus die Mediziner und Gesundheitswissenschaftler mit mehr als 30 Prozent. Gefolgt von den Naturwissenschaftlern mit einem Anteil von 29,6 Prozent. Während in den Bereichen Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften immerhin noch 14,1 Prozent Doktoren abschlossen, waren es bei den Sprach- und Kulturwissenschaftlern 10,5 Prozent und bei den Ingenieurswissenschaftlern 9,3 Prozent.?&nbsp Promotionen öffnen bekanntlich Tür und Tor; einige möchte aber nicht hart für die Promotion arbeiten, sondern gerne auf der Überholspur leben und den Dr-Hut kaufen.

Wie viele dieser Doktoranden die Promotion selbst in harter Arbeit bewältigt haben und wie viele sich eines Promotionsberaters bedient haben, sagt die Statistik nicht aus. Prof. Manuel Rene Theisen von der LMU München in einem Focus-Artikel am 25. August 2009, dass man generell davon ausgehen kann, dass 2 Prozent aller in Deutschland geführter Doktortitel nicht rechtmäßig erlangt worden sind und Doktormacher entsprechende Beihilfe geleistet haben. Ob das stimmt, weiß man nicht. Nur manchmal lichtet sich das Dunkel wie weiland bei Karl Mey, der auch unrechtmäßig einen Doktortitel führte und bekanntlich zirka 1.500 Sprachen auf der Zunge führte.”

GoMoPa.net: Wie lautet Ihr abschließendes Urteil über die Doktormacher-Szene?

Dr. Schulte: “Die Doktormacherszene dampft immer im eigenen Sud mit denselben Beteiligten und Universitäten. Das erinnert an Thomas von Aquin, den Philosophen des Mittelalters, der sagte, dass zu jedem Palast auch eine Kloake gehört. Wie sagte so schön eine der Hauptfiguren der Szene, die einige Jahre im Gefängnis verbrachte: Jemand, der einen Doktorhut kauft, hat meistens als Kind nicht genügend Liebe und Achtung durch den Vater erfahren.”

GoMoPa.net: Herr Dr. Schulte, wir danken für das Interview.

Das sagt Dr. Paul Jensen:

GoMoPa.net: Wieso versprechen Sie Ihren Klienten Beratung und Begleitung in Promotionsverfahren, welche innerhalb eines Jahres in Osteuropa abgeschlossen werden können, obwohl doch nach den neuesten Bologna-Verordnungen für ein Promotionsverfahren mindestens eine Promotionszeit von drei Jahren obligatorisch ist?

Dr. Jensen: “In Osteuropa kann der Dr.-Titel (Ph.D.) in einem mindestens dreijährigem Promotionsstudium erlangt werden oder der Dr.Sc., der keine Mindest- oder Höchstpromotionsdauer erfordert und kein Promotionsstudium erfordert. Ein deutscher Dr.jur. oder Dr.phil. erfordert auch ein Promotionsstudium. Nur wenige deutschen Universitäten bieten den Dr.-Titel nach Bolognakriterien an und hinken damit fast allen europäischen Universitäten hinterher. Die Bolognaverordnungen sind ja auch bis dato nicht Gesetz geworden, sondern sind nur Richtlinien.”

Dem entgegnet Dr. Schulte: “Es ist richtig, dass man in Osteuropa den PhD in drei Jahren im Rahmen eines Promotionsstudiums erlangen kann. Jedoch ist uns bekannt, dass Sie bereits vielen Interessenten versprochen haben, den PhD innerhalb von zwei bis drei Semestern erlangen zu können. Diese sind dann vor Ort (zum Beispiel in Bratislava) zur Konsultation erschienen, wo dann die Ernüchterung kam. Ferner lassen Sie viele Kandidaten monatelang hängen, wie viele Erfahrungsberichte bezeugen (ich schicke Ihnen hierzu einen Erfahrungsbericht gleich noch per Mail!).

Aber unabhängig davon eine Anmerkung zum DrSc: Der DrSc ist der Vorgänger des PhD und kann heute überhaupt nicht mehr erlangt werden. Der PhD hat den DrSc abgelöst. Dass man in Deutschland mit der Umsetzung der Bolognarichtlinien hinterherhinkt ist richtig, aber was hat das damit zu tun, dass Sie vom DrSc sprechen, den es gar nicht mehr gibt? Demnach können Sie den DrSc-Grad auch nicht mit einem im deutschsprachigen Raum zu erlangenden Dr. phil. oder Dr. jur. vergleichen.”

GoMoPa.net: Laut einem SPIEGEL-Artikel würden Sie Doktortitel aus Costa Rica und Mexiko innerhalb weniger Wochen offerieren. Dabei sind laut Auskunft der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAG) Bonn die Doktorgrade mittel- und südamerikanischer Staaten, insofern diese im Rahmen von internationalen Fernstudienabkommen erlangt werden, in Deutschland in keiner Weise führbar. Was sagen Sie dazu?

Dr. Jensen: “Zu Costa Rica mag die ZAB solche Auskunft geben, mischt sich damit aber in innerstaatliche Angelegenheiten. Die ZAB, wie auch kein deutsches Ministerium, hat die Qualität eines Grades oder Titels zu beurteilen. Das haben die Deutschen doch schriftlich vom EuGH bekommen.”

Dem entgegnet Dr. Schulte: “Die ZAB ist die Gutachtenstelle der Wissenschaftsministerien der Länder und wurde durch die Wissenschaftsministerien eigens dafür eingerichtet. Sie mischt sich damit nicht innerstaatliche Angelegenheiten, sondern arbeitet im Auftrag der Wissenschaftsministerien und richtet sich damit streng nach den gesetzlichen Vorschriften. Jeder Bundesbürger hat den gesetzlichen Vorschriften zu folgen.

Der EuGH hat entschieden, dass der Doktorgrad nur dann geführt werden darf, insofern er im Rahmen eines wissenschaftlichen Verfahrens erlangt worden ist. Wenn Sie aber anbieten, einen Doktorgrad innerhalb weniger Wochen aus Costa Rica zu beschaffen, so hat das nichts mit einem wissenschaftlichen Verfahren zu tun. Das ist ausschließlich Titelhandel und wird auch nicht vom EuGH gewürdigt.

Insofern also die gesetzliche Vorschrift besteht, dass Doktorgrade aus Costa Rica oder Mexiko nur dann führbar sind, wenn diese vor Ort erlangt worden sind, können Sie sich als IAAD nicht dagegenstellen. Maßgeblich ist hier die deutsche Rechtssprechung und nicht Ihr eigenes Rechtskonstrukt.”

GoMoPa.net: Herr Dr. Jensen und Herr Dr. Schulte, vielen Dank für die Auskünfte.




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