Die Aufteilung der Geschäftsfelder einerseits Forschung und Entwicklung in Berlin, Erstzulassung in Europa, aber anderseits Markteintritt und Vertrieb zuerst in den USA fällt dem Berliner Darmkrebs-Bluttestentwickler Epigenomics AG nun mächtig auf die Füße.
Und zwar so sehr, dass nicht nur Ende Januar 2021 der Präsident und Vorstand für Clinical Affairs, Regulatory and Quality, PhD. Jorge A. Garces (49) aus San Diego in Kalifornien, von seinem Vorstandsamt des seit 2004 an der Frankfurter Börse notierten Unternehmens zurücktrat und das Unternehmen verließ, sondern dass nun aus finanzieller Not der gesamte Konzern verkauft werden soll.
Der Grund: Das Hauptprodukt Epi proColon, ein blutbasierter Test für die Früherkennung von Darmkrebs, ist zwar seit 2012 in Europa theoretisch auf dem Markt erhältlich, wurde aber nicht in den Markt eingeführt.
Das geschah in den USA: Im April 2016 erteilte die US-Gesundheitsbehörde Food and Drug Administration (FDA) für Epi proColon als erstem und bislang einzigem Bluttest zur Früherkennung von Darmkrebs die Zulassung zur Kommerzialisierung auf dem US-Markt.
Der Rückschlag:
Aber am 19. Januar 2021 entschieden die staatlichen US-Krankenkassen, die Centers for Medicare and Medicaid Services (CMS), nach elf Monaten Prüfung, dass sie eine Kostenübernahme für den jeweils 157 Euro teuren Test ablehnen. Ihr Urteil: nicht erstattungsfähig.
Ein finanzieller Rückschlag sondersgleichen – in zweierlei Hinsicht:
Erstens: Ein echter Umsatz ist nun nicht mehr zu erwarten.
Denn ehe nun ein Krebsvorsorgepatient, der eine Darmspiegelung ablehnt, alternativ aus eigener Tasche 157 Euro für einen Bluttest bezahlen soll, greift der wohl doch lieber auf eine kostenlose Zweit-Alternative zurück. Er wird seine Stuhlprobe abgeben. Der Stuhltest (FIT), der zum gleichen Test-Ergebnis führt, ist zwar nicht so elegant wie der Bluttest, aber dafür eben kostenlos.
Zweitens: Ohne Umsatz fehlt das Geld für die Weiterentwicklung eines Bluttests, der dann den Erstattungs-Anforderungen der staatlichen US-Krankenkasse auf Anhieb genügt. Dafür müssten leider erst einmal in den nächsten 2 bis 3 Jahren entsprechende Studien von Epigenomics in Berlin vorfinanziert werden.
Viele Altgesellschafter (die Deutsche Balaton Aktiengesellschaft aus Heidelberg ist mit 22,59 % größte Aktionärin der Epigenomics AG, rund 72 Prozent sind im Streubesitz) haben zwar im Januar 2021 eine 5,5 Millionen Euro schwere Pflichtwandelanleihe 2021/2024 gezeichnet, aber das Geld reicht nach Firmenangaben nur bis ins Jahr 2022 hinein.
Also muss ein neuer Investor her. Daher teilte das Unternehmen in seiner letzten Pressenachricht vom 12. Mai 2021 mit:
Nach der negativen Erstattungsentscheidung durch die CMS im Januar 2021 prüft das Management verschiedene strategische Optionen.
Wie Ende März bekannt gegeben, erwägt die Gesellschaft unter anderem einen möglichen Verkauf des Unternehmens im Wege eines Share Deals (öffentliche Übernahme) oder Asset Deals an einen oder mehrere Investoren im Rahmen einer M&A-Transaktion.
Zu diesem Zweck wurde ein entsprechender Verkaufsprozess eingeleitet und die Gesellschaft befindet sich in Gesprächen mit mehreren potenziellen Interessenten. Das Unternehmen hat eine führende, internationale Investmentbank als Berater im Zusammenhang mit dem Verkaufsprozess mandatiert.
Die Berliner haben für ihren neuartigen Bluttest aus folgendem Grund voll auf die USA gesetzt, wie es im Geschäftsbericht 2020 heißt:
Unsere Vermarktungsstrategie konzentriert sich dabei zunächst auf die Vereinigten Staaten, da wir dort die größten wirtschaftlichen Chancen für unsere Produkte sehen.
Die USA sind ein Schlüsselmarkt, da neue diagnostische Technologien typischerweise zunächst in den USA zur Anwendung kommen.
Aber alles hängt davon ab, ob die Krankenkassen die Kosten übernehmen, so der Vorstand:
Es ist offensichtlich, dass eine Erstattungsentscheidung in den USA der Schlüssel zum Erfolg für einen solchen Test ist.
Hinsichtlich des Erstattungspreises hatte CMS bereits im Sommer 2018 unseren Septin9-Test mit einem Wert von USD 192,00 (157 Euro – Anmerkung der Redaktion) in den Gebührenkatalog aufgenommen.
Gegen den Nicherstattungsbescheid hat die Epigenomics AG in den USA Widerspruch eingelegt. Der Ausgang ist offen.
Der Aktienkurs ist seit dem Bescheid vom 19. Januar 2021 von knapp 6 Euro auf nunmehr rund 1,50 Euro gesunken. Die Marktkapitalisierung liegt totz einer Kapitalerhöhung Ende April 2021 durch Ausgabe von rund 2 Millionen neuer Bar-Aktien zu je 1,10 Euro im Augenblick bei nur noch 17,5 Millionen Euro, ende letzten Jahres waren es noch 20 Millionen Euro Marktkapitalisierung.
Zu allem Überfluss verhängte die deutsche Finanmarktaufsicht BaFin am 25. Mai 2021 gegen das Börsenunternehmen eine Geldbuße von 24.000 Euro, weil die Epigenomics AG “die Veröffentlichung der Gesamtzahl der Stimmrechte (mit Stand 19. Mai 2021 rund 11,8 Millionen Stimmrechtsaktien – Anmerkung der Redaktion) nicht rechtzeitig vorgenommen” habe.
Schade nur: Die Markteinführung eines zweiten schon fertigen Bluttests für die Erkennung von Lungenkrebs wurde aus Kostengründen auf Eis gelegt. Nun denn…